Die Interviews für Maximum Rock

Christoph Geisselhart, Künstler und Autor, hat für seine Biografie über die britische Rockgruppe The Who Augenzeugen, Musiker, Freunde und Geschäftspartner der Band befragt - darunter natürlich vor allem Pete Townshend, den damals 64-jährigen Schöpfer der großen Who-Hits; aber auch Simon Phillips, Who-Schlagzeuger zwischen 1989 bis 2000; Godfrey Townsend, einst glühender Who-Fan in New York und später Mitglied der Band des Who-Bassisten John Entwistle; Shel Talmy, Produzent der frühen Who-Platten, oder Irish Jack Lyons, der als ältester Fan der Gruppe im Mod-Opus Quadrophenia sogar Teil des Werks wurde. Auszüge aus diesen Interviews und Hintergrund-Stories werden hier veröffentlicht.

Interview mit Dave Snowdon

Der Softwareentwickler Dave Snowdon arbeitete am Xerox Forschungsinstitut in Grenoble, ehe er den Londoner Komponisten Lawrence Ball kennen lernte. Gemeinsam mit Ball setzte Dave Snowdon die von Pete Townshend Anfang der siebziger Jahre entwickelte futuristische Vision „Lifehouse“ in die Tat um, wonach jeder Mensch eine eigene Musik besitzt, die durch Umwandlung persönlicher Daten in Klang und Note hörbar gemacht werden kann. In zweijähriger Arbeit programmierte Dave die „Lifehouse“-Software, die schließlich musikalische Porträts durch Dateneingabe im Internet in Echtzeit erstellen konnte. Ziel dieser Sammlung von „Lifehouse“-Tunes, die im Sommer 2008 nach über zehntausend Porträtsitzungen abgeschlossen wurde, war ein öffentliches Konzert, eine Sinfonie aus den interessantesten Tunes, doch Pete hat das Projekt vorerst zurück gestellt (siehe mein Interview mit ihm im Februar 2009). Dave war so freundlich, die technische Seite des Projekts für „Maximum Rock“ zu erläutern und über die Zusammenarbeit mit Pete zu berichten. Hier folgen Auszüge aus den verschiedenen Frage- und Antwortsessions im Mai/Juni 2008, an denen sich auch der Komponist Lawrence Ball beteiligte.

Christoph Geisselhart: Dave, kannst du dich erinnern, wie deine Zusammenarbeit mit Pete begann?

Dave Snowdon: Ich traf Pete erstmals im November 2004 durch Lawrence Ball, der gerade mit Pete an einem von dessen Projekten gearbeitet hatte („The Boy Who Heard Music“). Pete hatte Lawrence auch gefragt, ob er nicht einen weiten Versuch unternehmen wolle, jene spezielle Musikerzeugungsmethode zu verwirklichen, die er in der Novelle beschrieben hatte und die natürlich von „Lifehouse“ vorgegeben war. Lawrence empfahl mich als jemanden, mit dem Pete in technischer Hinsicht zusammen arbeiten könne.

Dann bist du also nicht jener bislang unbekannte Computerfachmann, von dem Pete schon 1999 berichtete, dass er ihm bei der Umsetzung seines „Lifehouse“-Konzerts helfen werde?

Dave: Nein, diese Aussage Petes bezieht sich auf jemand anderen. Leider kann ich dir nicht verraten, wer es war, das wäre Vertrauensbruch.

Wann war die Methode – also deine Software – erstmals einsetzbar?

Dave: Das erste Musikstück im Web wurde am 27. August 2008 komponiert. Eigentlich hatten wir das erste mit der Lifehouse-Methode erzeugte Stück schon im Januar 2006 fertig, aber das erforderte noch viel manuelle Arbeit meinerseits – ich musste die Ausgabe durch die verschiedenen Komponenten des Systems noch manuell manipulieren. Wir hatten damals noch keine brauchbare Schnittstelle. Im Januar 2006 erzeugten wir lediglich MIDI-Daten, die Lawrence auf seinem Synthesizer nachspielte, um ihre musikalische Qualität zu überprüfen. Wir hatten es erst ein paar Monate zuvor geschafft, aus den MIDI-Daten qualitativ hochwertige Audiodateien herzustellen. Wir machten also einige Testdurchläufe, im Oktober 2006 glaube ich, aber die Software war noch nicht in der Lage, mit einer größeren Zahl von Benutzern gleichzeitig umzugehen – bis kurz vor der Einführung im April 2007.

In den Neunzigern hattest Du bereits mit Lawrence Ball ein Programm entwickelt, das Visual Harmony hieß und das die minimalistische Musik bei den Festivals in grafische Darstellungen umwandelte; Richard Evans hat dieses Programm später für die Gestaltung des Who-Albums „Endless Wire“ verwendet. Hatte Pete eure Konzerte mit Visual Harmony gesehen, und hast du auch Teile aus diesem Programm für die „Lifehouse“-Software verwendet?

Dave: Lawrence veranstaltete, wie gesagt, ein jährliches Festival, das „Planet Tree Music Festival“ heißt. Ich glaube, Pete sorgte für Geldgeber oder sponserte das Festival einige Jahre lang – Lawrence sollte dazu mehr Licht in die Sache bringen können.

Lawrence Ball: Pete und ich wurden durch Terry Riley zusammen geführt, den ich 1998 nach London zu meinem Festival brachte. Damals sponserte Pete das Festival zum ersten Mal. Wir hatten nur telefonisch und per E-Mail Kontakt, aber 2003 lud Pete mich ein, die Methode für ihn zu entwickeln. Er unterstützte mich auch, das „Lifehouse“-Doppelalbum für iTunes zu machen, inzwischen ist es dort erhältlich. Das war für uns beide ein großer Schritt vorwärts, um auszutesten, wie die Musik der „Lifehouse“-Methode klingen könnte.

Dave: Visual Harmony ist von mir als Fortsetzung von Lawrences Idee einer „Klingenden Mathematik“ entwickelt worden, die er als Basis sowohl seiner Musik als auch der grafischen Animation benützt. Visual Harmony setzte diese Ideen auf einer modernen Plattform um. Lawrences eigenes System lief ja noch auf einem Amiga und davor auf Apple II und unterstützte lediglich Applikationen wie die Fähigkeit, Hierarchien eines harmonischen Systems zu erzeugen. Im Gegensatz zu den Programmen von Lawrence, die hauptsächlich von einem Algorithmus gesteuert wurden, stellte Visual Harmony eine ganze Toolbox von Algorithmen und grafischen Möglichkeiten zur Verfügung und benützte XML-konfigurierte Dateien zur Beschreibung der Anwendungen. Wir benützten Visual Harmony, um eine Reihe von Lawrences eigenen Konzerten grafisch zu unterstützen, die er im Rahmen des PTM-Festivals organisierte.

Kannst du erzählen, wie ihr Drei – Pete, Lawrence und du – zusammen gearbeitet habt?

Dave: Pete hatte einen eher entspannten und lässigen Arbeitsstil, den ich wirklich sehr schätze. Persönlich trafen wir uns vielleicht zwei, drei Mal im Jahr; häufiger tauschten wir E-mails aus oder telefonierten. Lawrence hatte eher den Kontakt zu Pete, und Lawrence und ich arbeiteten üblicherweise intensiv an einem speziellen Problem, um dann mit Pete Kontakt aufzunehmen und zu sehen, wie er das Ergebnis fand. Lawrence brachte die musikalischen Fähigkeiten ein, ich kümmerte mich um die technischen Details von Petes über allem schwebender Vision und der musikalischen Visualisierung, indem ich alles in eine funktionierende Software übersetzte. Wir fingen ziemlich an der Basis an, das heißt, wir begannen mit dem Aufbau der Software, die Musik erzeugen sollte, indem wir Lawrences „Klingende Mathematik“ nahmen und ein immer anspruchsvolleres kompositorisches Rahmengerüst hinzufügten. Beispielsweise setzten wir die CLIPS-Software ein, die ursprünglich von der NASA entwickelt worden war. Schließlich packten wir alles in eine Web-Applikation. Das bedeutet nicht, dass wir planlos vorgingen – wir hatten durchaus einen Gesamtplan –, aber wir entschieden uns, uns zu aller erst auf die Musik zu konzentrieren, und das bedeutete, wir mussten eine Basis-Software zur Musikerzeugung zuerst entwickeln. Damit verbrachten wir fast das gesamte erste Jahr. Im zweiten Jahr verteilten sich die Aufgaben ungefähr zu gleichen Teilen auf die Musik und auf die ganze Software, die gebraucht wurde, um die Musikerzeugungsmaschine im Netz funktionsfähig zu machen.

Was war denn das schwierigste Problem, das ihr lösen musstet, bevor die Software im Internet anlaufen konnte?

Dave: Ich denke, das schwierigste war, einen musikalischen Bezugsrahmen zu erstellen, das einerseits viele Variationen erlaubte, andererseits aber auch genug eingrenzende Bedingungen vorgab, so dass wir uns vorstellen konnten, die verschiedenen Stücke eines Tages zusammen bei einem „Lifehouse“-Konzert vorzuspielen. Lawrence hat dafür die ganze Arbeit geleistet; ihm gebührt hier alle Ehre. Zu den technischen Herausforderungen, denen ich mich zu stellen hatte, gehörte, dass das Projekt ein weites Spektrum unterschiedlicher Technologien erforderte. Beispielsweise galt es, eine Cross-Plattform zu erfinden, um Audioeingaben aufzeichnen zu können. Es gab zahllose Karaoke-Webseiten, die das damals anboten, aber die liefen nur über Windows und Internet Explorer. Inzwischen kann man es auch mit Adobe Flash machen, aber dazu sind technische Eingriffe in die auf dem Server laufende Software zwingend notwendig. Und wir mussten sehr hochwertige Audiodateien schneller als in Echtzeit im Internet erzeugen können. Heute stellt unsere Software ein Fünf-Minuten-Stück in weniger als einer Minute her. Doch damals waren selbst die besten Softwares – meist für Musiker entwickelt – nur in der Lage, in Echtzeit mit Hilfe einer grafischen Schnittstelle zu arbeiten. Nachdem wir mit Hunderten, Tausenden von Anwendern rechnen mussten und die Software auf einem im Datenzentrum verborgenen Server laufen musste, kam diese Lösung für uns nicht in Frage. Die Musik musste schneller als in Echtzeit generiert werden, also mussten wir mehrere Server miteinander verbinden und ihre Zusammenarbeit koordinieren. Eine Kleinigkeit für einen Konzern wie Google, der Hundertausende von Servern einsetzt, aber für mich war das eine neue Erfahrung. Vieles an sich war gar nicht so neu, aber die Anzahl der verschiedenen Dinge, die wir zusammenpacken und aufeinander abstimmen mussten, stellte die große Aufgabe dar. Es gab so viel zu lernen und im Auge zu behalten. Zusammenfassend war die größte Herausforderung, die Software so weit zu bringen, dass sie ansprechende Musik auf ausbaufähige Weise vollständig automatisch erzeugen konnte.

Ich habe die Webseite natürlich ausprobiert und war überrascht, wie interessant meine Tunes klangen. Andere, die ich gehört habe, sind ebenfalls überraschend gut, manche gefallen mir aber auch nicht; die Bandbreite der Klänge und Sequenzen ist in jedem Fall wirklich erstaunlich. Eine Sache ist mir freilich völlig unklar: Als Computerlaie kann ich mir zwar vorstellen, dass Daten wie etwa Bilder in andere digitale Daten wie etwa Audiodaten umgewandelt werden können – obwohl ich mich nach wie vor frage, wie eure Software beispielsweise die Farbe rot erkennen und von blau unterscheiden kann oder wie diese unterschiedliche Stimmungen oder Emotionen sich später im Tune wiederspiegeln lassen. Aber wie das Bemerkenswerteste geschieht, kann ich mir nicht im Ansatz vorstellen. Ich dachte, jeder Tune sei eine Art Loop, eine sich wiederholende Sequenz von vielleicht 30, 40 Sekunden, doch da gibt es Veränderung über fünf Minuten hinweg, denn das jeweilige musikalische Thema wandelt sich, entwickelt sich, bricht ab oder baut sich immer wieder neu auf. Es muss also ein zufälliger Impuls geschehen, ähnlich der Mutation in der Natur, die für ständige Transformation sorgt – wie habt ihr diesen Effekt erzielt?

Dave: Sicherzustellen, dass es eine Art von Fortschritt oder Entwicklung in der Musik gab, war eine der schwierigsten musikalischen Aufgaben. Es ist keine zufällige Mutation daran beteiligt, sondern alles wird von dem Input kontrolliert, den die Software erhält. In der Datenerfassung ist die Transformation bereits enthalten, das heißt, du gibst mit deiner Dateneingabe der Software sowohl die Kontrolle über die Ausgangsbedingungen als auch über die Weiterentwicklung des Stücks. Schon die „Klingende Mathematik“ von Lawrence führte zur Herstellung von musikalischen Motiven, die sich mit der Zeit veränderten. Mein Vertrag mit Eel Pie erlaubt es mir leider nicht, eine vollständige technische Beschreibung von diesen Vorgängen zu geben.

Wie viele Personen haben denn bisher ihr musikalischen Porträt erstellen lassen?

Dave: Ich habe die Datenbank gerade überprüft. Auf der Hauptseite gibt es heute (31. Mai 2008) genau 10.029 Tunes. Wir haben auch noch eine gesonderte Seite, die nicht öffentlich ist und die für für unsere Testserien genutzt haben. Da gibt es noch einmal einige Hundert Tunes.

Wie schätzt du die Qualität der Stücke ein? Sind alle etwa gleich gut, oder gibt es große Unterschiede im Hinblick auf eine mögliche Verwendung durch Pete?

Dave: Manche Kompositionen sind wirklich genial, andere sind ziemlich eintönig. Wenn ich mir die Kommentare anschaue, die die Leute bezüglich ihrer Tunes hinterlassen haben, würde ich sagen, dass die Mehrzahl sehr positiv reagiert hat; aber es gibt auch einige wenige sehr negative Kommentare. Lawrence und ich glauben festgestellt zu haben, dass die Leute, die besonders enthusiastisch waren, auch eher die besseren Musikstücke erhalten haben. Woran das liegt, kann ich nicht genau sagen – möglicherweise geben sich begeisterte Leute eher Mühe bei der Dateneingabe und sorgen für besseren Input, mit dem das System dann auch besser arbeiten kann.

Glaubst du, dass eines Tages ein „Lifehouse“-Konzert mit der Klangerzeugungsmethode stattfinden wird?

Dave: Ob so ein Konzert stattfinden wird, hängt allein von Pete ab. Ich kann es im Moment überhaupt nicht einschätzen, ob oder ob es nicht der Fall sein wird.

(Anmerkung: Kurz nach diesem Interview beschloss Pete Townshend die „Lifehouse“-Webseite wieder zu schließen. Das Ziel der Einrichtung sei erreicht, erklärte mir Pete dazu später im Interview. Wer sich mit der „Lifehouse“-Software näher beschäftigen möchte, sollte die Webseiten von Dave Snowdon http://www.davesnowdon.com und von Lawrence Ball www.myspace.com/lifehousemethod besuchen.)

Interview mit Shel Talmy

Der Plattenproduzent Shel Talmy, geboren 1941 in Chicago, verließ im Zuge der britischen Rockinvasion 1962 die USA in Richtung London, um dort nach einer Band zu suchen, die er nach seinen Erfahrungen in kalifornischen Tonstudios formen und groß herausbringen konnte. Trotz seiner starken Sehbehinderung setzte er sich im Swinging London schnell durch. Für Decca produzierte er zunächst die Kinks, deren Hit „You Really Got Me“ den jungen Who-Komponisten Pete Townshend damals eingestandenermaßen zu eigenen Versuchen inspirierte. Als Talmy das erste ähnlich klingende Demo von „I Can’t Explain“ hörte, erkannte er das Potential von The Who und nahm die Band mit ihrem noch unerfahrenden Management unter Vertrag. Die für The Who ungünstigen Konditionen sorgten bald nach der Aufnahme des Welthits „My Generation“ für einen heftigen Rechtsstreit, der The Who viele Jahre lang belastete und der erst im Jahr 2002 abschließend beigelegt wurde, als Shel Talmy die Masterbänder der frühen Who-Hits für einen Remix des Debütalbums „My Generation“ freigab. In den hier veröffentlichten Auszügen nimmt Shel freimütig Stellung zu vielen Vorwürfen, die seitens des Who-Lagers gegen ihn erhoben wurden. Der Kontakt zu Shel kam über das englische Who-Forum zustande – thanks, Ziggy!

Christoph Geisselhart: Shel, vielen Dank für deine Bereitschaft, deine Erinnerungen an die frühen Who-Jahre mit uns zu teilen und meine Fragen zu beantworten. Hier gleich die erste: Pete hat im Verlauf eurer rechtlichen Streitigkeiten einmal gesagt, dass die meiste Arbeit im Studio damals sowieso von Glyn Johns, dem Toningenieur, gemacht worden ist. Wie würdest du die Rollenverteilung und Verantwortung zwischen dir als Produzent und Glyn als Tontechniker während der Aufnahmen und beim Abmischen beschreiben?
Shel Talmy: Glyn war mein Tontechniker, den ich ausgesucht hatte, weil er verflucht gut war und es mir erlaubte, mich auf die Produktion zu konzentrieren, ohne mit dem Tontechniker während der Aufnahmen Händchen zu halten. Ich bin selbst ein ausgebildeter Tontechniker und mischte Vieles selbst ab. Pete war bei den meisten Abmischsessions nicht dabei.

Du hast einmal die Behauptung aufgestellt, dass die von dir produzierten Who-Songs viel besser klingen würden, als jene, die später Kit Lambert produzierte, obwohl er viel länger im Studio gebraucht habe. Deine Aufnahmen klingen tatsächlich besser! Kannst du den Grund dafür aus technischer Sicht auf solche Weise erklären, dass wir als Laien das nachvollziehen können, warum deine frühen Who-Produktionen selbst heute noch so verdammt gut klingen?
Shel: Ich kann deine Frage nur mit einer Gegenfrage beantworten. Wie kannst du jemandem, der nicht mit dem Ohren wackeln kann, beibringen, wie man mit den Ohren wackelt? Das ist letztlich eine Frage des „Talents“ – so wie ein besonders veranlagter Mensch etwas auf eine Weise hört, das kein anderer zu hören vermag. Und wenn du dann diese Fähigkeit der Kommunikation noch vermitteln kannst; wenn du also das, was du von einem Künstler hörst schließlich in einer fertige Aufnahme bringen kannst, dann hast du etwas sehr Besonderes. In diesem Fall trifft das Publikum die Entscheidung, dass das, was sie hören, genau das ist, was sie hören wollen und wie gut es im Vergleich mit dem ist, was alle anderen machen.

Wie bist du eigentlich auf The Who gestoßen? Es heißt immer, dass Mike Shaw, Mitarbeiter von Kit Lambert und Chris Stamp, dir am Telefon die ersten rohen Aufnahmen von „I Cant Explain“ vorgespielt habe, woraufhin du zu einer Who-Probe in einer ehemaligen Kirche gekommen sein sollst. Was stimmt an diesen Geschichten?
Shel: Ich hatte eine Teilzeitmitarbeiterin namens Anya Butler, sie war eine Bekannte meiner Exfrau, die damals, wenn ich mich nicht täusche, noch den Status meiner Freundin einnahm. Sie kannte auch Lambert, der sie bat, mich dazu zu bewegen, zu einer Who-Probe zu kommen.

Anya hat auch lange für Lambert gearbeitet – wusstest du das?
Shel: Wenn sie auch für ihn gearbeitet hat, kann ich mich daran nicht erinnern, und so lange du kein Zauberlehrling bist, der Geister am Hexenbrett beschwören kann, werden wir das vermutlich nie herausfinden, obwohl Anya noch unter uns weilt, falls du sie finden kannst. Und was Mike Shaw betrifft: Er hört nicht auf, diese Geschichte zu erzählen, und ich habe keine Erinnerung daran, dass er mich je angerufen hat und mir „I Can’t Explain“ am Telefon vorspielte. Aber ich räume ein, dass es so gewesen sein könnte. Das Demo, das ich gehört habe, wurde jedenfalls in meinem Büro abgespielt. Es war ungefähr eine Minute und zehn Sekunden lang. Daraufhin begab ich mich runter zum Gemeindesaal der Kirche zu Anya.

Anya arbeitete tatsächlich für Lambert. Leute wie Irish Jack oder Barnes bezeugen ihre Anwesenheit in Lamberts sogenanntem Heimbüro, und Stamp, Pete, Roger und sie selbst berichten, dass sie an diesem Ort zeitweise sogar wohnte. Das letzte, was ich von ihr hörte, war, dass sie in Lamberts verlassenem Palazzo in Venedig gelebt habe, bis der 1979 verkauft wurde. – Dein Verhältnis mit Kit Lambert wird meist als ziemlich schlecht beschrieben. Was war der Auslöser für eure Differenzen? War es einfach nur eine „natürliche“ Antipathie von Anfang an, oder gab es einen besonderen Vorfall – noch vor den rechtlichen Auseinandersetzungen? Oder würdest du sagen, es gab überhaupt keine Probleme, bevor die Who beschlossen, den Vertrag mit dir zu brechen?
Shel: Ich glaube, ich habe ja schon im öffentlichen Forum gesagt, dass ich die Who für die beste Rockband hielt, die ich je in England gesehen hatte, kaum dass ich ihnen acht Takte zugehört hatte. Was die Plattenaufnahmen betraf, kam ich nie mit Roger zurecht. Aber das ging damals fast jedem so, keiner kam mit ihm klar, und er wurde für eine Zeitlang aus der Band geworfen. Ich hielt mich aus all dem raus. – Und wegen der Platten war es auch, dass ich Lambert für eins der abscheulichsten Stücke Scheiße hielt, denen zu begegnen ich jemals das Unvergnügen hatte. Ich verurteilte ihn dafür, dass er junge leicht zu beeindruckende Burschen anbaggerte, und der Grund dafür, dass er meinen Vertrag zu brechen versuchte, war für ihn, dass er glaubte, ich habe zu viel Einfluss auf „seine boys“ bekommen. Offensichtlich gelang es ihm, sie zu überzeugen, dass sie mit ihm weitergehen sollten, was damals allerdings nicht sonderlich schwierig war gegenüber einem Haufen Teenager, die nur Musik machen, trinken und Mädels aufreißen wollten, und zwar nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Und ja, es ist wahr, ich habe Lambert aus dem Studio geschmissen, als er Unruhe stiften wollte und noch unangenehmer wurde als üblich. Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich nehme an, alles hing davon ab, in wie weit ich mich im Interesse der Band dazu zwingen konnte, mit diesem Scheißkerl zurecht zu kommen. Ich hielt seinen Tod immer für „verdächtig“ und glaube, dass ihn jemand zusammenschlug, weil er eine verkommene, fiese Schwuchtel war. Ich hoffe, das schockt dich nicht, und wenn doch: Nun, so ist das Showgeschäft.

Das schockt mich nicht, aber wenn wir gerade beim Geschäft sind: Wenn ich heute eine Who-Platte oder -CD kaufe, die Shel Talmy produziert hat – wie werden da die Erlöse geteilt? Profitierst du immer noch von Who-Platten?
Shel: Ja.

Welche Masterbänder hast du im Jahr 2002 über ebay angeboten und warum? Stimmt die genannte Summe von 500.000 Dollar für das Angebot?
Shel: Ich bot alle Bänder an, und die halbe Million ist korrekt. Es war natürlich ein Trick, um die Aufmerksamkeit von MCA zu erregen. Anscheinend hat es gewirkt …

Chris Charlesworth berichtete, dass du mit David Schwartz über die Bänder verhandelt haben sollst. Wann war das? Die Erzählung erweckt den Eindruck, man habe dich hereingelegt oder übervorteilt. Kannst du den Verlauf der Verhandlungen aus deiner Sicht beschreiben?
Shel: Ich fürchte, da hast du die falschen Informationen oder Chris Charlesworth hat was falsch verstanden. Ich habe niemals mit David Schwartz über irgend etwas verhandelt. Ich habe einmal mit ihm zu Mittag gegessen, da er ein Who-Sammler ist, und wir hatten ein interessantes Gespräch, er ist ein heller Kopf. Und er hat mich nicht einmal mit den Kosten fürs Mittagessen hereingelegt, nachdem wir uns die Rechnung teilten.

Wer hat die Masterbänder schließlich gekauft und für welchen Preis? Ist der von Chris Charlesworth genannte Betrag zwischen fünfzig- und hunderttausend Dollar korrekt?
Shel: MCA kaufte die Bänder, und der Verkaufspreis ist Privatsache.

Copyright 2007 Christoph Geisselhart und Shel Talmy.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Verwertung und Vervielfältigung, auch auszugsweise und in elektronischen Systemen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.
Weitere Informationen unter:
www.sheltalmy.com

"Entwistles Spieltechnik" von Oliver Baumann

Oliver Baumann ist Bassist und Gründer der deutschen Who-Coverband WhoAreYou. Zudem spielt er bei der Progressive Rockband Martigan und verfasst Artikel in Musikfachzeitschriften. Sein großes Vorbild war und ist Who-Bassist John Entwistle, dessen Stil er ausgiebig studiert und adaptiert hat. „John war ein sehr netter Mensch, den ich zwei Mal auf der Musikmesse in Frankfurt persönlich getroffen habe“, erinnert sich Oliver. In seinem Beitrag erklärt er die Geheimnisse der Spieltechnik und des Sounds von Who-Bassist Entwistle.

John Entwistle, der Bass Player of the Millenium, besaß eine einzigartige Spieltechnik, die zahllose Musiker beeinflusste. Sein Stil hat das Spiel auf dem Bass ähnlich revolutioniert, wie Anfang der 50er Jahre der E-Bass an sich die Musikwelt revolutionierte. John bestand immer darauf, nicht Bassist, sondern Bassgitarrist zu sein. Die Erklärung für dieses Selbstverständnis lautet ganz einfach: Aufgrund eines fehlenden Leadgitarristen hatte er von Anfang an bei den Who die Rolle eines Leadbassisten besetzt, der die fantastische Rhytmusarbeit von Townshend mit Läufen und Fills ergänzte, was damals fernab vom normalen Bassistenspiel lag.
Sein Grundsound resultierte aus einer speziellen Spieltechnik. Nicht nur die Greifhand, sondern im speziellen die rechte Hand trugen maßgeblich zu seinem Sound bei. Entwistle konnte diesen Sound mit jedem Equipment, jedem Amp und jedem Bass reproduzieren. Dennoch gab es verschiedene Phasen, in denen sich sein Sound grundlegend verändert hatte - sicherlich meist aufgrund des Equipments, das in den Anfangsjahren der Who noch nicht so viel möglich machte.
Viele Bassisten behaupten, dass John einen harten Anschlag hatte und mit viel Kraft spielte. Dies stimmt keinesfalls. John spielte mit einer äusserst niedrigen Saitenlage. Für gewöhnlich kommen Bassisten mit einer solchen Saitenlage nicht zurecht. Es scheppert und schnarrt überall, aber dies war Bestandteil seines Sounds. Ich habe mir Johns Technik in zweijähriger Arbeit angeeignet, sicherlich nicht zu einhundert Prozent, was schon aufgrund des menschlichen Faktors unmöglich ist; aber dem Original bin ich doch schon recht nahe. Meine Saitenlage beträgt im Moment am 24. Bund, tiefe E-Saite, offen – sprich: von der Oberkante des Bundstäbchen bis zur Unterkante der frei schwingenden Saite – nicht mehr als 0,8 mm. Dies ist äusserst wenig; selbst Gitarristen kommen teilweise mit dieser niedrigen Saitenlage nicht mehr zurecht. Aber John sagte immer: „Ich hätte meine Saiten am liebsten hinter dem Griffbrett.“
Susan Wickersham, Chefin der Firma Alembic, die Johns berühmte Spiderbässe angefertigt hatte, erzählte mir, dass bei den ersten Bässen, die für John gemacht wurden, alles nur so schepperte und schnarrte, dass man schon befürchtete, hiermit sei die Beziehung zu John vorbei. Aber weit gefehlt, denn genau dies war, was John gesucht hatte.
Der zweite wichtige Aspekt von Johns Sounds war seine Anschlagtechnik, mit der er seinen speziellen Pianosound kreierte. Das Geheimnis besteht darin, dass die Saiten nur ganz leicht angeschlagen werden dürfen - und der Finger sogleich wieder von der Saite weg muß. Die Saite muß unbedingt in eine vertikale Schwingungsbewegung versetzt werden, ähnlich wie beim später entwickelten Slap-Stil, aber viel viel kontrollierter und feinfühliger. Selbst beim normalen Fingerspiel hat John die Saiten eher vertikal angeschlagen. Die meisten Bassisten hingegen zupfen in einer horizontalen Richtung. Erst die vertikale Ausrichtung der Saiten produziert diesen phantastischen Pianosound, einen stählernen Sound mit grandiosen Obertönen.
Ausserdem hat John viel mit offenen Saiten gespielt. Dies ist bei Musikern eigentlich verpönt wegen der angeblichen Laustärkedifferenz zwischen offenen und gegriffenen Saiten; aber für John war dies ein maßgeblicher Aspekt, um die teilweise recht komplexen und schnellen Läufe bewältigen zu können.
Sein Basssound hat sich über die Jahre hinweg zwar durchaus verändert, aber dies vor allem wegen des Equipments und der Technik. John hatte in den frühen Jahren immer das Problem, dass er mit dem damaligen Equipment zu wenig Höhen produzieren konnte. Röhrenamps in Verbindung mit Fender Precision Bässen oder Gibson Thunderbird Bässen, noch dazu verzerrt, ergaben zwar einen monströsen Sound, aber die gewünschten Höhen, um sich im Gesamtsound besser durchsetzen zu können, fehlten Erst mit den Alembic Bässen von 1975 kam der nächste Schritt. Die Alembic Bässe, Highend Bässe aus den USA, haben von Natur aus einen sehr höhenreichen HiFi-Sound. Äusserst clean, sehr höhenreich. Die ideale Basis, um ein cleanes Signal über den weiteren Signalweg zu ziehen. John spielte in dieser Zeit die Alembic Bässe über je zwei deutsche Stramp Preamps in 4 Sunn Poweramps. Die Alembic Bässe waren Stereop, so dass die Signale einmal in einen Preamp mit zwei Outputs in je zwei Poweramps gingen. Auf diese Weise wurden erstmals die tiefen und die hohen Frequenzen geteilt, und John konnte in den hohen Frequenzen das Signal stärker verzerren. Außerdem blieben die Tiefen cleaner und behielten ihr Fundament, das sonst bei Verzerrung stark verloren geht.
Das Problem bei den Älembic Bässen war und ist ihr empfindlicher Hals. Obwohl sie mit zwei Stahlstäben ausgerüstet sind, verziehen sich die Hälse permanent. Auch ich hatte und habe mit meinen Alembics dieses Problem, das bei einer so niedrigen Saitenlage natürlich noch extremer ins Gewicht fällt und speziell live sehr nervig ist. Da John viel und gern auf Tour war, ist absolut nachvollziehbar, dass er irgendwann genug davon hatte.
Mit dem Wechsel zu Warwick veränderte sich dieses Problem allerdings nicht merklich, dies erklärt auch, warum er Warwick bat, mit Hilfe der amerikanischen Firma Modulus Buzzards mit Graphithälsen zu bauen. Ende der Story war dann der Wechsel zu Instrumenten, die komplett aus aus Carbon gefertigt wurden.
Je weiter sich die Technik entwickelte, desto extremer wurde Johns Sound – bis hin zu einem buchstäblichen Bass-Gitarristen, was man anhand der Auftritte der John Entwistle Band der letzten Jahre erkennen kann. Auch damals war das Signal noch immer getrennt, mittels Ashdown Preamps, die in mehrere Ashdown-Poweramps führten. In die Höhen hat John immer mehr Gitarreneffektgeräte eingeschliffen, um die teils brutale Verzerrung dort überhaupt darstellen zu können, ohne den Druck in den Tiefen und in den Mittentönen zu verlieren.
Insgesamt betrachtet ist Johns Spieltechnik ein Kunstwerk, das bis heute unerreicht ist.

Copyright 2008 Oliver Baumann.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Verwertung und Vervielfältigung, auch auszugsweise und in elektronischen Systemen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors,
www.whoareyouband.de oder www.oliverbaumann.com

Interview mit Godfrey Townsend

Wenn Who-Bassist John Entwistle die Mitglieder seiner Soloband zu präsentieren pflegte, erntete er bei der Vorstellung seines Gitarristen und Sängers regelmäßig irritierte Blicke, denn der langmähnige und deutlich jüngere Musiker an seiner Seite hieß Godfrey TOWNSEND. John, mit bestem britischem Humor ausgestattet, genoss es sichtlich, wenn das Publikum darüber spekulierte, ob es sich bei diesem Musiker um einen Bruder oder sonstigen Verwandten des berühmten Who-Bandleaders Pete Townshend handelte. Godfrey indes ist gebürtiger New Yorker, und zu dem berühmten Townshend aus London fehlt ihm nicht nur ein H im Nachnamen, sondern auch jeglicher verwandtschaftliche Bezug. Man hätte also von einem Witz des Schicksals sprechen können, dass John abseits von The Who mit einem weiteren Towns(h)end zusammenspielte. In meinen Interviews mit Godfrey, die sich quasi über den ganzen Zeitraum, in dem ich an der Biografie arbeitete, erstreckten und der deswegen bald zum unverzichtbaren Ratgeber in vielen musikalischen und persönlichen Fragen wurde, kam jedoch heraus, dass Godfrey schon als siebzehnjähriger Schüler nach einem Who-Konzert tüchtig am Schicksalsrad mitgedreht hatte. Die hier veröffentlichten Auszüge behandeln vor allem Godfreys Beziehung zu John, der ein erstaunlich chaotisches Privatleben führte und neben The Who eine ausgedehnte Solokarriere verfolgte. Nach Johns Tod arbeitete Godfrey mit vielen Stars aus der Glanzzeit der Rockmusik wie Jack Bruce (Cream) oder Alan Parsons, den ich während der Europa-Tournee im Sommer 2008 ebenfalls kennen lernte und der sich als überzeugter Who-Fans zu erkennen gab. Der Kontakt zu Godfrey entstand übrigens über Oliver Baumann, den Bassisten der deutschen Who-Coverband WhoAreYou, dessen Beiträge zur Spieltechnik des Jahrtausendmusikers Entwistle ebenfalls in die Who-Biografie eingeflossen sind.

Christoph Geisselhart: Godfrey, danke für deine Bereitschaft, mir bei der Einschätzung der Person John Entwistles und bei musikalischen Fragen zum Werk der Who behilflich zu sein. Als Gitarrist und Sänger zahlreicher Who-Songs an der Seite des Who-Bassisten kannst du sicher viel zur Aufklärung beitragen. Deine persönlichen Erinnerungen an John beginnen mit dem Who-Konzert im Juni 1974 in New York. Als angehender Gitarrist wirst du wahrscheinlich aber eher auf Pete geachtet haben, oder?
Godfrey Townsend: Ich glaube nicht, dass ich damals auf einen der Vier besonders fokussiert war. Alle Vier waren meine Helden, und es war aufregend, sie zu beobachten. John stand wie eine Statue von einem Spot beleuchtet vor seinen Verstärkern; es war magisch zu beobachten, wie seine Finger über den Bass flogen. Sie spielten ein paar Sachen aus Quadrophenia und hatten während der ganzen Tournee große Probleme mit der Tonbandsynchronisation. Demzufolge war Pete erkennbar frustriert, und sie gingen von der Bühne ab, ohne eine Zugabe zu spielen. Ein paar Leute ärgerten sich darüber und warfen Flaschen und so auf die Bühne. Ich erinnere mich, dass ich mich beeilte, aus der Flugbahn zu kommen, und dass ich die Roadies beobachtete, wie sie sich bemühten, nicht getroffen zu werden. Aber das Bemerkenswerteste an dieser Show war für mich natürlich, dass ich draußen einer Limousine hinterher rannte und dabei Pete und Keith kennenlernte.

Das klingt interessant. Kannst du mehr erzählen?
Godfrey: Klar. Das war, wie gesagt, im Juni 1974, ich war siebzehn, und in derselben Woche machte ich auch meinen Schulabschluss. Das war alles sehr aufregend in diesem Sommer. The Who spielten vier Tage im Madison Square Garden, 10. bis 14. Juni. Für den ersten Tag hatte ich ein Ticket in der zweiten Balkonreihe, wir hüpften aber in den Orchestergraben, um besser sehen zu können. Golden Earring fingen an, ich erinnere mich noch an ein Solo des Bassisten auf einem Danelectro Longhorn Bass. Dann kamen The Who, sie waren um ein Vielfaches lauter. Nach der Show entdeckte eins der Mädchen, mit denen ich beim Konzert gewesen war, eine vorbeifahrende Limousine, in der Pete saß. Ich rannte sofort hinterher, was nicht schwer war, da der Wagen an einer roten Ampel halten musste, und klopfte gegen die Seitenscheibe. Pete ließ das Fenster runter – und neben ihm saß Keith Moon. Ich zog meine Brieftasche hervor und kramte nach meinem Schülerausweis, um Pete meinen Nachnamen zu zeigen. Er fragte scherzhaft, ob ich ihm Geld geben wolle; erst nachdem ich ihm meinen Ausweis gegeben hatte, meinte er: „Den Ausweis kann ich leider nicht benutzen, ich heiße nicht Godfrey!“ Ich sagte ihm, er solle den Ausweis behalten und sich meinen Namen merken, weil ich eines Tages auch ein berühmter Musiker sein würde. Was man als wildgewordener Teenager eben so von sich lässt. Währenddessen versuchte Keith, mir ein Glas Wein durchs Fenster zu reichen. Er sagte: „Hier, trink mal was“, aber ich war zu sehr von meinem Gespräch mit Pete absorbiert. Ich sagte auch, dass die Leute sauer gewesen waren, weil es keine Zugabe gegeben hatte, und dass John nach meiner Meinung etwas morbid auf der Bühne aussah. „Kann schon sein“, meinte Pete. „Aber er ist verdammt noch mal der beste Bassist der Welt!“ Dann schaltete die Ampel auf grün, Pete steckte meinen Ausweis in seine Tasche, und fort waren sie. Jetzt hatte ich natürlich eine tolle Geschichte zu erzählen. Auf dem ganzen Heimweg überlegte ich fieberhaft, was ich als nächstes tun sollte. Ich wusste jetzt, wo die Limos vorfuhren, und es gab noch drei weitere Shows. Am nächsten Abend warteten wir im Auto des Vaters meines Freunds mit den beiden Mädels vom Vorabend an der Ausfahrt, wo die Limos rauskamen. Irgendwann gegen Mitternacht öffnete sich das große Tor, und die erste Limo fuhr raus. Eins der Mädchen kreischte: „Es ist Roger!“ Als die Limo uns passierte, stürzte ein Stadtstreicher genau vor unserem Auto auf die Straße. Logischerweise konnten wir ihn nicht überfahren, also schrieen wir, er solle aufstehen und aus dem Weg gehen. Die Mädchen sprangen schließlich raus, packten ihn und setzten ihn auf den Gehweg. Es war total hysterisch. Dann sprangen sie wieder in den Wagen, und wir rasten los, um Rogers Limo einzuholen. Irgendwie schafften wir es, neben seinem Auto her zu fahren, und die Mädels unterhielten sich mit ihm, während sie bei sechzig Sachen aus dem Fenster hingen. In der folgenden Nacht fuhren wir wieder hin, und diesmal war es Johns und Petes Limo, die wir verfolgten. Ich war zur Limo gelaufen, als sie aus der Ausfahrt kam, und hatte John die Hände geschüttelt. Dann zeigte ich Pete ein Porträt von ihm, das ich im Kunstunterricht gezeichnet hatte. Ich hatte eine ältere Vorlage verwendet, so aus der Zeit von „Tommy“, als Pete im T-Shirt mit einer Fender Strat spielte. Ich erinnere mich, dass er sagte: „Das soll ich sein? Sieht eher aus wie Jeff Beck!“ Die vierte und letzte Nacht war die beste. Roger hatte uns durch Autofenster erzählt, dass im Manhattan Center nach dem letzten Auftritt eine große Party steigen würde. Mein Freund und ich sausten direkt nach unserer Schulabschlussfeier hin, um dort irgendwie reinzukommen. Wir beobachteten, wie all die berühmten Leute eintrafen, Cher, Diana Ross, Elton John, Leslie West und andere. Plötzlich hielt eine Limo an, und Pete stieg aus. Die ganze Fanmeute lief auf ihn zu, aber er drehte sich schnell ab und rannte in die nächste Straße, fast wäre er dabei in ein Polizeiauto gelaufen. Er schien angetrunken und war sichtlich genervt. Dann ging er die Straße runter, weg vom Manhattan Center. Ich holte ihn ein und ging neben ihm her und hörte zu, wie er Dampf abließ. Wir marschierten zusammen den ganzen Weg rauf von der 33sten bis zur 59sten Straße, wo er im Hotel Pierre abgestiegen war. Unterwegs hielt ihn ein Penner an, sang ihm was vor und hielt die Hand für etwas Geld auf. Pete lauschte eine Weile, dann griff er in die Tasche, als wollte er Geld rausholen, aber er krempelte nur den Inhalt nach außen, um zu zeigen, dass er nichts dabei hatte. Ich erinnere mich, dass ich dachte: Unglaublich, Pete Townshend läuft ohne einen einzigen Penny durch die Straßen von Manhattan! Vor dem Hotel wartete ein weiblicher Fan in einem schulterfreien Oberteil, das sie von Pete signiert haben wollte. Pete tat, wie ihm geheißen, sagte „Gute Nacht“ und ging ins Hotel. Am nächsten Tag prangte das Foto von dem Mädchen mit dem signierten Top von der Titelseite der Stadtzeitschrift – ein tolles Andenken an vier magische Nächte im Leben eines jugendlichen Rockmusikers.

Hast du The Who danach noch mal live gesehen, bevor du John kennen lerntest?
Godfrey: Ja, ich sah sie im Spectrum Dome in Philadelphia 1979 mit Kenney Jones am Schlagzeug.

Das war unmittelbar nach der Tragödie von Cincinnati. Kannst du dich an die Stimmung im Auditorium erinnern? Gab es besondere Reaktionen auf das Unglück?
Godfrey: Ich glaube nicht, dass viele Zuschauer davon gehört hatten. Ich erinnere mich, dass die Band gedämpfter klang, was auch an Kenney lag. Er ist ein schlichterer Schlagzeuger als Keith (wie wohl die meisten anderen Drummer auf diesem Planeten). Der Auftritt war strukturierter und nicht mehr so wie eine wilde Jamsession. Kenney ist bestimmt ein guter und solider Drummer – aber er war nicht der richtige für sie.

Hast du das damals schon so empfunden?
Godfrey: Vielleicht ist es etwas zu frei heraus gesagt, dass ich ihn nicht für den richtigen hielt. Er trug viel dazu bei, dass die Band solide und taktgenau spielte, aber er steuerte wenig Spannungsvolles zur Who-Musik bei. Lass es mich so sagen: wir vergleichen ihn schon wieder mit dem verrücktesten und wildesten Schlagzeuger aller Zeiten. Er kam von den Small Faces, einer Band, die viel dezenter und gemäßigter war als The Who. Ich möchte nur feststellen, dass sein Stil ein wenig zu sehr darauf bedacht war, sicher zu spielen, für die Ekstase, die wir bisher von der Rhythmusgruppe gewohnt waren. Ich lernte Kenney 1979 übrigens auch kurz kennen, als ich vor Johns Hotelzimmer herumhing, wo eine After-Show-Party abging. Kenney hockte auf dem Boden in einer Ecke des Raums, und ich ging hin und sagte ihm, er habe einen tollen Job gemacht und dass es wohl für jeden schwer sei, in Keiths Fußstapfen zu treten. Er schien das als Kompliment aufzufassen.

Wie hast du eigentlich John kennen gelernt?
Godfrey: Ich traf ihn und andere Who-Mitglieder immer mal wieder unverbindlich nach Who-Konzerten. Meine berufliche Verbindung mit John begann erst nach 1994, als wir zusammen im China Club jammten.

Das muss im Februar 1994 gewesen sein, nach der Daltrey-Sings-Townshend-Show in der Carnegie Hall?
Godfrey: Richtig. Der China Club war ein bekannten und angesagter Club in New York City, wo ich viele Stars und berühmte Musiker kennen lernte, die meiner Karriere einen großen Schub verliehen haben. Es gab dort einmal in der Woche eine offene Jamsession, und da tauchte ich regelmäßig auf und spielten mit vielen großartigen Musikern. Nach einer Weile gehörte ich zur Hausband und half mit, die Sessions zu organisieren. John kreuzte dann im China Club auf, nachdem er beim Daltrey-Sings-Townshend-Konzert gespielt hatte – der China Club war, wie erwähnt, der angesagteste Schuppen in der Stadt. Er brachte viele Gastmusiker von der Show mir, Pino Palladino zum Beispiel, und wir jammten stundenlang. Ich spielte Gitarre und sang zu Dutzenden von Who-Songs in dieser Nacht, das war wohl meine Bewerbungsvorstellung, denn als John beschloss, eine Soloband für seine Tournee auf die Beine zu stellen, erinnerte sich an mich und engagierte mich als Sänger und Gitarristen.

John kam zusammen mit seinem späteren Nachfolger Pino? Ich wusste nicht, dass sie sich gekannt hatten. Kannst du etwas dazu sagen?
Godfrey: Ich weiß leider nichts über ihre Beziehung zueinander. Ich kenne aber jemand, der mehr dazu wüsste und dich mit ihm in Kontakt bringen könnte – Bob Pridden.

Auf dieses Angebot komme ich gern zurück. Jetzt möchte ich aber die Gelegenheit nutzen und dich zu den weniger bekannten Mitgliedern der aktuellen Who-Touring-Band befragen. Kannst du mir helfen, Pino, Zak, Petes Bruder und Rabbit als Musiker und Personen besser zu verstehen? Vielleicht beginnen wir gleich mit Pino, der John im Sommer 2002 als Who-Bassist beerbte.
Godfrey: Ich habe ihn nur kurz kennen gelernt und vielleicht zwei oder drei Mal mit ihm gesprochen. Er scheint ein sehr netter, ruhiger Mensch zu sein. Ich kann wenig über ihn als Person sagen, aber finde, er ist ein unglaublicher Bassist. Sein Basspart auf Petes Song „Give Blood“ ist umwerfend, tödlich! – Mit Simon Townshend habe ich früher viel gejammt und bin mit ihm ausgegangen. Ich mag ihn sehr, wir betrachten uns als eine Art entfernte Cousins. Ich denke, er ist super talentiert als Sänger, Songwriter und Gitarrist. Ich liebe seine Stimme und seine besonderen Gitarrenstimmungen. Er klingt sehr ähnlich wie Pete, vermutlich eher aufgrund genetischer Veranlagung als durch Beeinflussung. Ich finde, er sollte ein großer Star sein. Leider ist das Musikgeschäft heute so degeneriert, dass es manchmal eher ein Fluch als ein Vorteil ist, mit jemand verwandt zu sein, der schon berühmt ist.

Simon Phillips hat mir Ähnliches über Petes Bruder gesagt. Hast du eine Erklärung dafür, warum sein Nachname für ihn so von Nachteil ist, dass er trotz seines Talents nicht durchkommt?
Godfrey: Ich glaube, das liegt daran, dass man ihn strenger bewertet, gerade weil er Petes Bruder ist. Die Leute nehmen von vornherein an, dass du in Wahrheit gar kein Talent hast, sondern bloß wegen deiner Beziehungen durchgekommen bist. Du musst dann noch mehr unter Beweis stellen, dass du gut bist. Und trotzdem wirst du immer noch ständig verglichen und bewertet.

Von Simons Sohn Ben habe ich kürzlich ein Demo gehört. Ich glaube, die Band hieß The Volts, und sie machten mächtig Dampf. Weißt du wie alt Ben ist, ob er Geschwister hat und warum er das Schlagzeug zu seinem Instrument gewählt hat (und nicht die Gitarre)?
Godfrey: Ben ist ein verflucht guter Drummer. Ich kenne ihn aber nicht so gut wie Simon. Ich glaube, er ist Anfang zwanzig. Er spielte schon Schlagzeug auf Simons Platten und ging mit ihm auch auf Tour. Simon hat, soweit ich weiß, drei Kinder. – Und wo wir gerade von verflucht guten Drummern sprechen: Zak ist nach meiner Meinung perfekt für The Who. Simon Phillips ist vermutlich mein Lieblingsschlagzeuger auf dieser Welt, aber er war irgendwie etwas zu geschmeidig für The Who. Zak ist beides, geschmeidig und solide. Leider hatte ich noch nicht die Gelegenheit, mit ihm zu jammen, aber wir sind ziemlich oft miteinander herum gehangen. Meine Spielweise gefällt ihm offenbar gut genug, um mir von einer DVD der John Entwistle Band vorzuschwärmen. Er sagte mir etwas sehr Interessantes, als wir uns bei Johns Trauerfeier trafen. Er sagte: „Nicht das Kokain hat John umgebracht, sondern Fish & Chips haben das getan.“ Die Wahrheit ist, dass John schon 1996, als wir auf unserer ersten Tour waren, wegen Herzbeschwerden in Behandlung gewesen war. Aber natürlich können die Medien aus einer Überdosis Drogen die bessere Geschichte stricken, um ihre Blätter zu verkaufen.

Darauf möchte ich später noch mal zurückkommen. Erst noch mal zu Zak und zu John: Ich bin mir ziemlich sicher, dass John es war, der Zak für The Who entdeckt hatte – kannst du das bestätigen? John hat Zak nach meinen Informationen in einem Londoner Club mit einer seiner frühen Bands gesehen; sie hießen The Next, Dead Meat und Monopacific (zwischen 1978 und 1982), und die letzte davon wurde sogar von Keiths früherem Betreuer Dougal Butler gemanagt. Weißt du darüber etwas?
Godfrey: Ich weiß nicht viel über Zak, aber ich glaube auch, dass John der erste von The Who war, der ihn spielen gesehen hat. Zak war auf jeden Fall mal Mitglied einer früheren Band von John, die The Rock hieß. Ich erinnere mich, dass John einmal ganz beschämt über einen Zeitungsartikel war, in dem er zitiert wurde, dass er Zak für den besseren Drummer als seinen Vater Ringo halte. Ich glaube mich auch zu erinnern, dass Zak mir erzählte, Keith habe ihm sein erster Schlagzeug geschenkt.

Das war das große cremefarbene Tourschlagzeug von der letzten richtigen Who-Tour 1976. Das ist wirklich eine fantastische Geschichte, aber noch mal zurück zu Johns Herzproblemen. Habt ihr darüber gesprochen, oder gab es erkennbare Anzeichen dafür während der Tour 1996?
Godfrey: Da gab es keinerlei Vorfälle, aus denen ich Johns Herzprobleme erkennen konnte. Aber ich weiß noch, dass ich gebeten worden war, im Tourbus keine Zigaretten zu rauchen (ich habe das Rauchen eh schon Jahre vorher aufgehört), weil das John dazu anregen könnte, selbst mehr zu rauchen. Aber soweit ich das feststellen kann, hat sich John in den acht Jahren, in denen ich ihn kannte, aber von nichts oder niemand beeinflussen lassen, etwas zu tun oder zu unterlassen. Er tat, was er wollte, und er ließ, wozu er eh keine Lust hatte.

Wie würdest du seine Trinkgewohnheiten beschreiben?
Godfrey: Exzessiv. Ich glaube aber nicht, dass er zuhause so viel trank wie auf Tournee.

Es heißt auch, dass John Tabletten nahm und kokste seit den frühen Tagen der Who. Wenn man manchen biografischen Berichten folgt, ist es geradezu ein biologisches Wunder, dass John den Missbrauch so lange überlebte. Wie waren deine Beobachtungen?
Godfrey: Nun, es ist völlig klar, dass Alkohol und Drogen dir nicht gut tun, genauso wenig wie Zigaretten. In den alten Filmen, die John so liebte, rauchten immer alle ständig und tranken wie verrückt – es war so glamourös. Bis man herausfand, dass es ungesund ist. Wenn wir unterwegs waren, stand jede Nacht eine Flasche Remy Martin in Johns Garderobe. Außerdem rauchte er ungefähr zwei Packungen Winston 100 am Tag. Als Anhänger von gesunder Ernährung und Vegetarier seit 30 Jahren kann ich gut einschätzen, was gesundes Essen ist und was definitiv ungesund ist. Und John aß eine Menge ungesundes Zeug, was entscheidend zu seinen Herzproblemen beitrug. Er war ja erst siebenundfünfzig, als sein Herz kapitulierte – ich kann darin keinerlei biologische Sensation erkennen, wenn man bedenkt, dass heutzutage die Leute mit achtzig noch wunderbar leben. Verglichen damit war er doch erst in seinen mittleren Jahren.

Zeigte er manchmal Anzeichen von Sucht oder Entzug?
Godfrey: Aus meiner Sicht war John kein Abhängiger. Wenn etwas da war, nahm er es, wenn nichts da war, habe ich niemals Entzugserscheinungen oder so was beobachtet. Aber wenn es ausnahmsweise nicht er war, der die Party nach einer Show initiierte, so war er immer der erste, der mitmachte.

Kümmerte er sich denn tatsächlich so wenig um seine körperliche Verfassung?
Godfrey: Ich bin sicher, dass er nicht sterben wollte. Er genoss das Leben so sehr. Er war eine sehr starke Persönlichkeit, trotz all der Spitznamen wie „The Quiet One“. Aber seine Willenskraft war schwach. Oder wie Pete mir einst auf Johns Tod hin schrieb: „Der eigentliche Mörder hier ist die Verleugnung“. Wenn jeder von uns wirklich und ernsthaft verstünde, dass manches, was wir unserem Körper antun, uns umbringt, würden wir wohl mehr geneigt sein, das zu unterlassen. Leider halten wir uns für unsterblich.

Wie war denn das Leben auf Tour mit John? Was sind deine besten Erinnerungen?
Godfrey: Das Touren hat seine Höhen und Tiefen wie alles im Leben. Die Tour mit John 1996 war meine erste derartige Erfahrung. Wir fuhren quer durch die USA in einem Tourbus. Das allein ist schon eine Erfahrung. Und dann Tag und Nacht mit einem meiner größten Helden zusammen zu sein, das war die Erfüllung eines Traums. Neben den üblichen Tourgeschichten, die schnell langweilig und klischeehaft werden, gehört die stillen Momente zu meinen schönsten Erinnerungen, wenn wir im Bus unterwegs waren und Filme anschauten oder Johns Geschichten über die alten Who-Tage lauschten. Wir waren sehr eng beisammen und lachten viel gemeinsam. Ich hätte mir keine bodenständigere und freundlichere Person zur Zusammenarbeit vorstellen können. Wenn John mit uns zusammen war, war er einer von uns, und ich hatte das Gefühl, als würde ich ihn schon mein ganzes Leben kennen.

John verhielt sich in der Öffentlichkeit nie wie jemand, der Starallüren hat – kannst du das aus der Nähe bestätigen? Immerhin war er es zu diesem Zeitpunkt dreißig Jahre lang gewöhnt, als Superstar einer der berühmtesten Rockband der Welt hofiert zu werden. Hat das keine Wirkung bei ihm hinterlassen?
Godfrey: Du hast recht, John verhielt sich nie wie ein Superstar. Er behandelte jeden gleich. Er stand stundenlang im Regen und schrieb Autogramme, bis keiner mehr da war, der eins wollte. Er plauderte so leicht und zwanglos mit Leuten, die er gerade erst kennen gelernt hatte, als wäre er schon Jahre mit ihnen befreundet gewesen. Das einzige, was mir aufgefallen ist, war die Tatsache, dass er praktisch nie etwas selbst machen konnte. Man könnte sagen, dass er wohl ein Mensch war, der die meiste Zeit seines Lebens jemand hatte, der alles für ihn regelte. Von seiner Jugend an war er es gewöhnt, dass er herumgefahren wurde und dass alle geschäftlichen Angelegenheiten für ihn erledigt wurden. Er hatte ja nicht mal einen Führerschein – aber ein Dutzend Autos.

Das führt uns zu der Frage, wie ein Mann, der einst fürs Finanzamt gearbeitet hatte und dessen Kollegen Pete und Roger mehr als gut verdienten, so schwerwiegende finanzielle Probleme und Steuerschulden anhäufen konnte. War Johns Anwesen so teuer, oder gab er einfach nur zu viel Geld aus?
Godfrey: Ich weiß nicht all zu viel über Johns persönliche Einkommensverhältnisse. Er hatte mir einmal erzählt, dass er für Quarwood, sein riesiges Herrenhaus, in den Siebzigern rund 300.000 Dollar bezahlt habe. Es heißt Quarwood, weil es aus Felsblöcken gebaut wurde, die von einem Steinbruch in der Nähe des Hauses stammen. Das riesige Tal, das aus dem Steinbruch entstand, kann man heute noch sehen. Der Kaufpreis war zwar sicher nicht sehr hoch für ein Gut mit sieben Gehöften, einem 50-Zimmer-Schloss und vielen, vielen Hektar Land, aber John war ein gewaltiger Geldverschwender, vor allem zu Zeiten, wenn er viel verdiente. Abgesehen davon, dass er zahlreiche Leute auf der Lohnliste in Quarwood hatte, wo es ja auch noch zwei Aufnahmestudios gab, waren es die enormen Unterhalts- und Reparaturkosten, die man bei so einem großen alten Anwesen hatte. Einmal wurde ich zum Beispiel Zeuge, als „Scarlet“, einer von Johns großen Wolfshunden, die Grenze zum Nachbarsgrundstück überquerte und dort die Hühner riss. John musste daraufhin einen fünf Meter hohen Schutzzaun ums ganze Anwesen ziehen lassen, damit seine Hunde nicht fortlaufen konnten. Das kostete ihn damals etwa 15.000 Pfund. Ein anderes Mal musste er das komplette Heizungssystem im Schloss erneuern – ich bin sicher, das war nicht billig. Wenn wir unterwegs waren, gingen wir manchmal zusammen einkaufen. John liebte Wrangler Jeans und Westershemden. Ich habe ihn in einem Laden im Mittleren Westen dreißig Paar Jeans und Dutzende von Hemden auf einmal einkaufen sehen. Er konnte auch ein paarhundert Dollar dafür ausgeben, dass wir auf Rastplätzen in der Nacht im Bus Videos anschauen konnten. Ich habe ihn darin unterstützt, Dinge zu kaufen, die er wollte. Was hat das für einen Sinn, John Entwistle zu sein, wenn man sich Gedanken darum machen muss, wofür man sein Geld ausgibt? Und wie es sich zeigte, hatte er einfach Freude daran, nicht sparsam zu sein, solange er lebte.

Du hast ja auch die beiden wichtigsten Frauen nach Johns erster Ehe mit Alison kennen gelernt. Johns Beziehungen zu seinen Frauen scheinen nicht sehr glücklich verlaufen zu sein. Seine zweite Frau Maxine war wesentlich jünger, sie war einst Kellnerin im Rainbow Theatre gewesen …
Godfrey: Ich erinnere mich, wie ich in den späten 90ern einmal mit John im Rainbow saß, und er war hingerissen von einer der Kellnerinnen. Er verbrachte einige Nächte mit ihr und erzählte, dass er Max auf die gleiche Weise getroffen hatte. Wie ich schon erwähnt habe, kam Maxene oft zu Konzerten, wenn wir in LA waren. Sie wirkte sehr sympathisch auf mich. Ich habe keine Ahnung, warum sie sicht trennten.

Weißt Du auch, wie John ihre Nachfolgerin Lisa kennen gelernt hat?
Godfrey: Ja, über Joe Walsh. Sie war mit Joe zusammen gewesen, als John und Joe an Johns Album To Late The Hero arbeiteten. Den Rest der Details kenne ich nicht, aber ich kannte Lisa recht gut. Ich persönlich denke, dass die Beziehung zwischen ihr und John autodestruktiv war, wie bittersüß, denn sie liebten einander offensichtlich sehr, aber wussten nicht, wie sie das zeigen sollten. Sie waren nie verheiratet. Ich verstand mich gut mit Lisa. Sie hatte einige schwerwiegende Tiefen und war in gewisser Weise ein weiterer trauriger Fall in einer Reihe von labilen Persönlichkeiten, die in der Illusion der Drogen- und Alkoholwelt gefangen waren. Sie war innerlich sehr rein und schön, aber ziemlich verwirrt, und sie hatte einfach nicht die Stärke, um sich berappeln. Sie war sehr jung gewesen, als sie mit dem Lebensstil des Rock and Roll in Berührung kam. Sie fragte mich manchmal um Rat, weil sie wusste, dass ich ebenfalls viele Kämpfe mit meiner Drogensucht ausgefochten und wie durch ein Wunder überlebt hatte. Nach Johns Begräbnis verbrachten meine Freundin Victoria und ich ein ganze Woche mit Lisa im Hotel. Sie hatte eine große Suite und viel Platz, sie war immer großzügig. Aber sehr einsam, sie brauchte unsere Gesellschaft. Keiner kümmerte sich um sie, als alles vorbei war. Sie stand praktisch ganz allein da nach Johns Tod und hatte alles verloren. Man hatte sie praktisch aus Quarwood rausgeworfen, viele ihrer Habseligkeiten landeten fälschlicherweise in den Auktionen, die zum Quarwood-Besitz gehörten, und der Rest war irgendwo in Kisten verpackt. Ein paar Monate nach dem Begräbnis flog ich rüber, um nach ihr zu schauen, aber da war alles schon zu weit fortgeschritten. Ich wohnte in einer der Musikercottages bei ihr, aber sie verbrachte die meiste Zeit halb bewusstlos in ihrem Schlafzimmer. Kurz darauf flog sie nach Florida zu ihrer Familie; sie wollte dort ein Haus kaufen und sich niederlassen. Sie verbrachte noch ein Wochenende mit ein paar Freunden, wo sie Party machte, und wurde anderentags mit einer Überdosis tot aufgefunden …

Was mich noch interessieren würde, ist die duale Rolle, die du in Johns Band übernommen hattest. Du hast sowohl Rogers Gesangparts ausgefüllt, als auch Petes Gitarrenspiel.
Godfrey: Das war eine tolle Erfahrung für mich. Zum einen ist Petes Spielweise sehr verschieden vom Stil der meisten andern Gitarristen. Vor allem, weil er ja den Hintergrund als Banjospieler hat, woraus er wahrscheinlich seine speziellen Anschlagtechniken entwickelt hat. Auch seine Leadgitarre ist ziemlich anders als üblich. Viel mehr von der Melodie beeinflusst, als das damals üblich war – die meisten hielten sich ja an die Blues-Skala. Insgesamt ist Petes Stil völlig unvergleichlich mit anderen. Wenn er einen Powerchord spielt, klingt das wie bei keinem anderen. Man könnte sagen, Pete hat den Powerakkord erfunden. Auch mit seiner theatralischen Bühnenshow während er spielt, steht er gänzlich allein. Ich habe oft versucht, Windmühle zu schlagen, während ich live spiele, und fast jedes Mal endete das damit, dass ich mir entweder die Finger aufschlug oder einen Tonabnehmer abschlug oder die Brücke. Das ist recht schmerzhaft für den Rest der Show. Er muss das schon sehr früh perfektioniert haben. Und dann gibt es noch Petes akustisches Gitarrenspiel, das eine Klasse für sich ist. Dieser einzigartige Anschlag und dieser großartige Rhythmus – er ist der beste! Ich bin jedes Mal verblüfft über seine Jazztechnik bei „Sunrise“ von Who Sell Out. Und auf den jüngsten Touren habe ich auch gesehen, dass Pete richtig ins Solospiel eingestiegen ist, und auch das macht er wirklich gut, er ist einfach ein fantastischer Gitarrist! Und Roger gehörte schon immer zweifellos zu meinen bevorzugten männlichen Rocksängern. Neben seinem Werk mit The Who, ist auch der Gesang auf seinem ersten Soloalbum unglaublich gut. Ich ahmte seinen Gesang nach, seit ich als Teenager in Jugendbands anfing, und ich würde sagen, ich komme seiner Singweise sehr, sehr nahe. John übernahm in der Band immer die Stücke als Sänger, die er auch bei The Who sang, also „Boris“ oder „Heaven and Hell“. Ich sang alle Stücke, die Roger im Original sang. Das war wirklich eine einmalige Erfahrung, beide Rollen von Roger und Pete spielen zu dürfen – für mich als Who-Fan: Was hätte ich mir Schöneres wünschen können!?!

Copyright 2008 Christoph Geisselhart und Godfrey Townsend.
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck, Verwertung und Vervielfältigung, auch auszugsweise und in elektronischen Systemen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.
Weitere Informationen unter:

www.godfreytownsendmusic.com

„A Cork Modyssey“ von Irish Jack

"Wir Iren neigen ja dazu, eine Geschichte auf dreierlei Weise zu erzählen", schrieb mir Irish Jack unlängst von der grünen Insel, dem Land der wortmächtigen und trinkfestesten Dichter Europas. "Erst kommt der wahrheitsgemäße Teil, dann der überspitzte und schließlich der glaubwürdige Teil." In seinem Beitrag, der als Nachwort im zweiten Band von MAXIMUM ROCK nachzulesen ist, beweist der dienstälteste Who-Fan die Richtigkeit seiner These. Pete Townshend und Roger Daltrey kommen nach einundvierzig Jahren im Sommer 2007 wieder nach Cork - keine Frage, dass Irish Jack aus diesem denkwürdigen Wiedersehen eine meisterhafte, konzentrisch erzählte Geschichte zu stricken versteht. "Das alte Foto hier stammt übrigens aus den frühen Modzeiten. Ich halte die Finger so komisch überkreuzt, weil ich das kurz zuvor in einem Magazin über The Who gesehen hatte. Eine Hommage an John Entwistle, der das genau so getan hatte. Und den Mantel habe ich genau so über meine Schultern gelegt, wie das Kit Lambert immer tat."

"Ich komme wieder nach Cork“, versprach Pete Townshend auf seiner Webseite in einem Eintrag seiner Memoiren-Diskussionsrunde. Und er hat Wort gehalten. Carrie Pratt, meine Webmasterin, wollte eine Konzertbesprechung für ihre Website Long Live Rock, aber ich bin kein Kritiker. Ich bin ein Geschichtenerzähler, vor allem von solchen Geschichten, die kein Ende finden und so lange brauchen, um auf den Punkt zu kommen, dass sie fast so sind wie in den frühen Siebzigern Petes ausufernde Erklärungen zwischen den Songs, was genau in Jimmys Kopf vorging, während Roger neben ihm versuchte diplomatisch zu bleiben und über die Bühne stakste wie ein ungeduldiger Löwe kurz vor dem Sprung.
The Who, heutzutage eine Hydra mit nur noch zwei Köpfen, eroberten Cork am Wochenende mit einer zweistündigen Meisterklasse in der Kunst des Rock’n’Roll, nach der das Geschrei nach Zugaben gar nicht mehr aufhören wollte.
Keith Moon und John Entwistle nehmen jetzt am großen Gig im Himmel teil, aber Sänger Roger Daltrey und Meister Townshend mit seiner Axt beherrschen immer noch die Magie und das musikalische Chaos ihrer epochalen Liveshows der späten Sechziger, frühen Siebziger – von Woodstock ’69 bis Leeds anno ’70.
Sie legten los mit „I Can’t Explain“, „The Seeker“, „Anyway, Anyhow, Anywhere“, während im Hintergrund Szenen aus Modfilmen der sechziger Jahre projiziert wurden, und sie eröffneten ihr Konto mit Fingerspitzengefühl und Raserei.
Nach dem fünften Song des zweistündigen Programms kam „Who Are You“, und alle waren aus dem Häuschen, als Daltreys übermenschlicher Gesang mit allem, was Townshend ausheckte, locker mithielt.
Der dreiundsechzigjährige Daltrey, der problemlos als halb so alt durchgehen könnte, hat stimmliche Fähigkeiten, die immer wieder verblüffen – trotz einiger Ausfälle wegen Bronchitis beim ersten Teil der Endless Wire-Tournee. In Stücken wie „Behind Blue Eyes“, „Real Good Looking Boy“ und der Auswahl aus Endless Wire, einschließlich des Titelstücks von diesem Album, überstrahlte Daltreys Können – manchmal nur begleitet von Townshend auf der akustischen Gitarre – sogar bei weitem die prächtige Lightshow und die Projektionen, die den Gig akzentuierten.
Und dann passierte es. Nachdem sie das Tempo zurückgefahren hatten, zeigten The Who, was es heißt, wenn einem das Publikum nicht nur aus der Hand frisst, sondern wie man es in einen Zustand delirierender Hingabe versetzt.
Das rappelige, flirrende Keyboard-Intro zu „Baba O’Riley“ war für das ausverkaufte Haus das Signal zum Ritt auf der Schaumkrone einer Rock’n’Roll-Flutwelle der Euphorie, mit der The Who den Laden aufmischten. Mit einer der besten Liveversionen von „My Generation“, die man sich vorstellen kann, und mit dem gleichermaßen großartigen „Won’t Get Fooled Again“ endete das Set, bei dem Townshends Bruder Simon an der Gitarre, Pino Palladino am Bass, John Bundrick an den Keyboards und Ringo Starrs Sohn Zak Starkey am Schlagzeug in jedem Song brillierten.
Bei den fünf Songs des Zugabenteils, darunter „Pinball Wizard“ und „See Me Feel Me“, mussten sie sich und uns nichts mehr beweisen, aber das hielt sie nicht davon ab, mit noch mehr rasender Energie zur Sache zu kommen. „Falls ihr denkt, wir sind laut, dann solltet ihr mal euch selbst von hier oben aus hören“, sagte Daltrey und erntete tosenden Applaus. „Und kümmert euch um euren Postboten“, witzelte er als Ehrenbezeugung für den pensionierten Postler Jack Lyons alias Irish Jack aus Cork, den langjährigen legendären Weggefährten der Who.
Meine „wundersame Reise“ („Amazing Journey“) begann im Februar 2007, als The Who eine Pressekonferenz veranstalteten, die im Internet weltweit übertragen wurde. Der Saal war voller Journalisten aus ganz Europa. Pete und Roger spielten ein paar Songs und nahmen dann Platz, um Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Nach vier oder fünf Fragen wollte die Funkjournalistin Rose O’Neill von Roger wissen, ob er sich denn schon auf den Auftritt in Cork freue, wo The Who seit Mai 1966 nicht mehr gewesen waren (bis jetzt ist das die längste Lücke zwischen zwei Who-Terminen). Rogers Antwort überraschte alle und sorgte für Erheiterung: „Ich kann’s gar nicht erwarten, nach Cork zu kommen. Wir kennen den dortigen Postboten; er ist einer unserer treuesten Fans. Wir nennen ihn liebevoll Irish Jack, und er war schon in den Anfangstagen im Goldhawk Club in Shepherd’s Bush einer unserer besten Freunde.“ Dann fügte Pete hinzu: „Darf ich kurz auch was über Irish Jack sagen? Vor einigen Jahren betrieb er ein wenig Ahnenforschung und fand dabei heraus, dass mein Großvater Maurice in der Gillabbey Street in Cork geboren wurde – und das ist exakt dieselbe Straße, in der auch Irish Jack zur Welt kam.“
Monat für Monat verging, und meine Vorfreude darauf, dass The Who nach so langer Zeit nach Cork zurückkommen würden, wuchs immer mehr. In der Woche, in der das Konzert im Cork Marquee stattfinden sollte, rief mich der dritte Kanal des irischen Fernsehens an und fragte, ob ich für ein Interview zur Verfügung stünde, das noch am selben Abend um 17 Uhr 30 ausgestrahlt werden sollte. Noch am selben Abend? Es war elf Uhr vormittags, und das Kamerateam wollte mittags um zwölf vorbeikommen. Ich war allein daheim und beeilte mich, fürs Interview die Wohnung mit Who-Postern zu dekorieren. Ich kramte im Archiv, und das heißt: auf dem Dachboden, wo 25 Jahre alte Linoleumrollen, ein seit zehn Jahren nicht benutzter elektrischer Heizkörper (nur für den Fall, dass mal die Heizung versagen sollte), der Plastikchristbaum vom vergangenen Jahr und zwei Dutzend unberührter Weingläser eine friedliche Koexistenz neben einer Million Schachteln fristen, die die Geschichte der Who enthalten. Und dann stach mir was ins Auge: der rote HiFi-Plattenspieler mit dem sahnefarbenen Deckel, der auf der Startseite meiner Webseite und in meiner YouTube-Ecke zu sehen ist und den Ron Dovey freundlicherweise für mich zusammengebaut hat. Selten hatte ich so einen Gedankenblitz wie in dem Moment.
Ich baute den Plattenspieler in einer Ecke meines Zimmers auf, klappte den Deckel hoch und platzierte das Cover des Brunswick-Albums My Generation auf dem Plattenteller. Das ist wahrscheinlich das einzige Who-Album, das ich je gekauft habe, denn an jenem Dezemberfreitag konnte ich es einfach nicht erwarten, bis ich es am Montag von Kit Lambert oder Chris Stamp im Büro bekommen würde. Ich musste es fürs Wochenende haben. Und so zahlte ich im kleinen Plattenladen an der Ecke King Street Hammersmith bereitwillig siebzehn Schilling und sechs Pence von meinem Lohn – ich glaube, ich verdiente damals rund acht Pfund die Woche und musste davon auch die Miete für mein Apartment zahlen, und hin und wieder aß ich tatsächlich auch was. Aber ich musste einfach My Generation übers Wochenende haben, um vor meinem großen Spiegel die Windmühlenflügel zu üben – und zwar zu „Out On The Streets“, einem der besten Who-Songs, den Townshend jemals schrieb und den sie schändlicherweise nie ins Liveprogramm nahmen.
Als das Filmteam ankam und sah, dass ich das Zimmer vorbereitet hatte, waren sie beeindruckt. Und als sie den Plattenspieler sahen, lächelten sie staunend. Einer sagte: „Mein Dad hatte auch so einen.“ Ich führte den Einschaltmechanismus vor, und der Tonarm glitt wie von selbst über den Plattenteller, bis er über dem äußeren Rand der dicken schwarzen Vinylscheibe, die wie Quecksilber der Götter vom Himmel gekommen war, zum Halten kam und sich dann langsam hinabsenkte auf den sich drehenden Plattenteller, wo er mit sanfter Nachhilfe meines Fingers über den Rillen von „My Generation“ schwebte. Der Kameramann nahm das in Großaufnahme auf, und es war wie ein Live-Zaubertrick. Es gab Kratzer und Feedback, und ich hoffte auf niedrige akustische Impedanz. Alles sehr ungewöhnlich für einen Beitrag für die Fernsehnachrichten. Der Plattenspieler, der immer das am liebevollsten gehütete Möbelstück in unserem Haus gewesen war, gehörte meiner Schwiegermutter Mary Kent. Sie hatte ihn 1966 für ein paar Pfund gekauft. Ich hatte ihn ein paar Jahre vorher mal für Dave Marsh in Gang gesetzt, den Autor von Before I Get Old, der mir damals sagte, er habe My Generation noch nie in der glorreichen Monoversion gehört – obwohl man dieses Album einfach in Mono hören muss. Das war also der Dienstag, und es schien, als würde die gesamte Gemeinde Cork die Abendnachrichten um halb sechs auf TV3 angucken. Ruhm und ein netter Touch von Minimalismus zu guter Letzt.
In der Wochenmitte gab ich viele Radio- und Zeitungsinterviews. Einige Wochen vorher hatte ich einem Freund, Con Crowley, der ein Motorrollergeschäft hat, versprochen, dass ich bei einem Modtreffen am Abend vor dem großen Gig in Cork teilnehmen würde. Bei diesem Meeting überreichte man mir die schöne Messingfigur eines Mods, der im Parka auf einem Motorroller sitzt. Das war eine liebenswürdige Geste der Leute, die ich als treue Mitglieder der ersten Modgeneration in Cork in den späten Siebzigern kannte. Manchmal merke ich gar nicht, wie bekannt ich bin, und ich werde nie so recht warm damit.
Das erinnerte mich an eine Begebenheit einige Jahre früher, als einer meiner Freunde aus Cork an einem Softwareprojekt in Osaka arbeitete. Die übliche Arbeitsethik in Japan sieht vor, dass man für gutes Schaffen belohnt wird. Und deshalb hatte man meinem Freund für gewissenhafte Pflichterfüllung ein Wochenende in Tokyo spendiert. Er verbrachte einen Tag damit, die faszinierenden Sehenswürdigkeiten der Altstadt zu besichtigen. Irgendwann bemerkte er eine große Gruppe von jungen Tokyo-Mods, die auf einem Platz versammelt waren, enge italienische Anzüge trugen und ihr glattes schwarzes Haar in der Mitte gescheitelt hatten. Das machte ihn neugierig, und er näherte sich den jungen Männern, von denen einige hübsche Mädchen auf dem Sozius sitzen hatten, während andere die Kolben ihrer Motorroller knattern ließen und sich so vor jedem, der genug Interesse zeigte, in Positur warfen. Mein Freund kannte mich ziemlich gut und wusste von meinem Who-Background, und so schlich er sich an ein Grüppchen dieser jungen Japaner heran und tat so, als bewundere er ihre Roller. Dann fragte er einen: „Irish Jack? Schon mal was von Irish Jack gehört?“ Sie starrten ihn nur ausdruckslos an. „No Jack. No Jack.“ Ihm wurde klar, dass sie vermutlich dachten, er suche jemanden mit dem Namen Irish Jack. Da kam ein anderer Jüngling hinzu, der des Englischen besser mächtig war. Mein Freund fragte: „Irish Jack. Haben Sie jemals von Irish Jack gehört? Quadrophenia?“
Bei der bloßen Erwähnung von Quadrophenia erklang ein zustimmender Chor: „Ahhh, ja, QUADROPHENIA!!!“. Und dreißig Zeigefinger zeigten auf ihre Motorroller, und alle lächelten im entzückendsten japanischen Einvernehmen. Dann sagte mein Freund: „Genau, Irish Jack – Quadrophenia.“ Und der Jüngling mit dem passablen Englisch gab aufgeregt bekannt: „Irish Jack, er Mod King. MOD KING!!“ Mein Freund schüttelte ein halbes Dutzend Hände, und ein Japaner erzählte ihm, dass er an seiner Wand zuhause ein Bild von mir auf einem Motorroller habe. Er hatte es aus der schwedischen Tageszeitung Expressen ausgeschnitten, mit der ich einige Jahre früher ein Interview gemacht hatte. Als mir mein Freund später in Cork diese Geschichte erzählte, fühlte ich Freude und Stolz im Bauch und hatte das Gefühl, als würden meine Mutter mit ihren Händen die Schulter kneten, wie sie es immer tat, als ich jung war. MOD KING! Das klang in meinen Ohren wie ein himmlischer Gong. Die Story machte mich aufgekratzt. Nach einem weiteren Drink trennten wir uns. Ich ging in einer Art Dunstglocke nach Hause, doch dann verwehte dieses Ruhmesgefühl, und ich fühlte mich sehr traurig, fast schon melancholisch. Warum denn das, werdet ihr jetzt fragen. Ich fand es erstaunlich, dass ein junger Mod, der tausende von Meilen von meiner kleinen Stadt Cork entfernt lebte, ein Bild von mir an seiner Schlafzimmerwand hängen hatte. Quadrophenia, mein Kind, manchmal meine Mutter, das Thema, das mein Ego in ungeahnte Höhen gehoben hat und das mich am Ende untergehen lassen wird – so oder so werde ich nie davon loskommen; ich werde es für den Rest meines Lebens mit mir herumtragen wie den Rucksack eines Lieblingsonkels (Onkel Pete?). Ein Postbote in Cork, fotografiert auf der heißen Sechziger-Jahre-Lambretta eines Freundes, taucht in einem weit entfernten Land, in einer anderen Kultur, die sehr viel älter ist als meine eigene, an der Wand eines Modjugendlichen auf. Und ich werde diesen Jungen nie treffen, werde ihn nie kennen lernen, werde nie seinen Atem spüren.
Am Samstag stand ich für den großen Tag früh auf. The Who nach einundvierzig Jahren zurück in Cork – wer hätte das gedacht? Um diesen unmöglichen Traum auf seinen logischen Anfang zurückzuführen, stellen wir uns mal vor, wie Roger Daltrey am Sonntag, dem 8. Mai 1966, mit Pete Townshend die Bühne verlässt und wie er auf dem Weg zum kleinen Umkleideraum im Arcadia Ballroom (der, nebenbei bemerkt, am anderen Ende des Tanzsaals lag) so etwas sagt wie: „Wir werden hierher nach Cork in einundvierzig Jahren zurückkehren.“ Beängstigend, nicht wahr?
Es war ein seltsamer Samstag. Ich erledigte, was ich immer am Samstag erledige, holte mir den Guardian, traf meinen Freund George auf einen Kaffee, zwei Kaffees, drei Kaffees, zwei Gläser eisgekühlten Orangensaft – und obwohl die Versuchung groß war, mein vor zu viel Koffein klopfendes Herz (obwohl ich doch wirklich cool sein sollte) zu beruhigen, trank ich kein Murphy oder Guinness. Ich dachte: „Jetzt bin ich schon sechs Wochen lang nüchtern, warum soll ich damit aufhören?“ Petes Sekretärin Nicola Joss rief an, als ich gerade eine E-Mail schrieb. Die Pässe für die ganze Familien seien schon für mich hinterlegt. Was trieb ich sonst noch so? Ich machte mir Sorgen, dass die Band nicht gut in Form sein könnte. Womöglich würden sie eine schlechte Kritik bekommen. Ich fürchtete, dass Rogers Stimme versagen würde. The Who würden nie wieder nach Cork kommen, das wusste ich, und deshalb würde es keine zweite Chance geben. Seit 1968 habe ich allen in den Ohren gelegen, Busschaffnern, Busfahrern, Schneidern, Anwaltsgehilfen, Gerüstebauern, Fernsehmechanikern, Näherinnen, Barmännern, Postboten, Bedienungen und hübschen Physiotherapeutinnen, die mein Handgelenk bearbeiteten, dass The WHO die einzige Band sind, „auf die es wirklich ankommt“.
Irgendwann an diesem nicht ganz normalen Samstag wurde mir plötzlich klar, dass meine Zeit gekommen war. Cork wimmelte von Besuchern, die am Abend ins Marquee wollten. Ich sah Väter von auswärts mit Söhnen und Töchtern in ihren Who-T-Shirts; Mütter, die so aussahen, als hätten sie in den Siebzigern einige grandiose Shows gesehen, während sie ihre in Who-Klamotten gekleidete Kids entlang der Hauptstraße bugsierten. Überall lag es unverkennbar in der Luft, dass sich später etwas ereignen würde. Ich ging in einige Läden, um Geschenke einzukaufen, aber ich war nicht recht bei der Sache. Auf der Straße grüßte ich viele Freunde, die mit wissendem Lächeln reagierten. Manche riefen mir zu: „Viel Glück heut’ Abend!“ Glück? Jesses, ich musste doch nicht spielen. Aber sie hatten schon irgendwie recht. Während ich im Long Valley, meiner üblichen Bar am Samstag, saß und in meinem eisgekühlten Orangensaft rührte, bemerkte mein Freund George lächelnd, ich sei wohl schon ganz woanders. Und so wurde ich immer wieder auf unterschiedliche Art auf das Thema angesprochen. Bis ich keine Lust mehr hatte, in der Stadt rumzuhängen. Ich war zu unruhig. Ich wollte lieber zu Hause sein, wo ich mich mit meinem schlechten Spiel auf der akustischen Gitarre entspannen konnte. Und das tat ich dann auch.
Bald war es Zeit, zum Quality Hotel zu gehen, um den Rest der Familie zu treffen und auf unseren Minibus zu warten. Wie immer hatte meine Frau Maura ihre Garderobe, die vollgestopft ist mit Kleidung, geöffnet und erklärt, sie habe absolut nichts zum Anziehen. Sie rief meine Tochter Karen an, und zwischen Mutter und Tochter entspann sich eine lange Konversation über die Vor- und Nachteile eines tiefen Dekolletés oder eines schwarzen Rollkragenpullovers. Ich dachte: „Wenn dieses Gespräch noch länger dauert, werden wir es grad noch zu den Zugaben schaffen.“ Also sagte ich, ich wolle schon mal vorgehen, um im Hotel unsere kleine Gruppe zu treffen; die Modeexpertinnen könnten dann ja nachfolgen. Ich rief ein Taxi, das mich zum Quality brachte. Wolfy und Amanda waren schon da, zusammen mit dem wahren Star der Show, meinem alten Freund von den Detours, jenem Mann, den ich im Sommer 1962 kennen gelernt hatte: Doug Sandom. Der silberhaarige, elegante, fünfundsiebzigjährige geniale Schlagzeuger aus der Bollo Bridge Road in Acton. Er war von London mit Wolfy und Amanda, zweien der bestangezogenen Londoner Mods, eingeflogen. Mick Kenny, ein Freund, der im Postamt von Dublin arbeitet und am Samstagnachmittag eine Radioshow macht, war auch schon da, um mich und meine Familie zu begrüßen. Auch Con Crowley war dabei, der Wort gehalten und mich in der Nacht davor nach Hause gefahren hatte. Er hatte sechs oder sieben Motorroller organisiert, die unseren Minibus auf dem Weg zum Marquee eskortieren sollten. Unser Fahrer Alan McGregor konnte es kaum glauben. Er sagte, er habe zwar schon viele Fahraufträge gehabt, aber so etwas habe er noch nie erlebt: „Und wie heißt der Mann noch mal? Doug Sandom? Und er war Schlagzeuger der Who?“ Jesus Christus Allmächtiger: The WHO!!“ Maura und ich posierten für ein Foto mit den Motorrollern auf dem Vorplatz des Hotels, bevor wir alle dreizehn in den Minibus sprangen.
Wir kamen am Marquee mit Verspätung an und holten unsere Pässe ab, bevor wir in den Backstagebereich fuhren. Dort erwartete uns Nicola Joss, und die nächste Stunde verging mit vielen Umarmungen, vielen Komplimenten und noch mehr Umarmungen. Maura und ich überreichten Roger in einem ungestörten Moment eine Flasche Rotwein und eine Schachtel mit Teebeuteln der Marke „PG Tips“, die mir einer der Motorrollerfahrer, Dublin James, für ihn mitgegeben hatte. Umarmungen mit Bob Pridden, dem Zauberer an den Knöpfen, mit Simon und Rabbit (der sich nach dem Verlust seiner allerliebsten Sue wacker hielt), mit Pino, dem Riesen aus Cardiff, und mit Zak, der sich immer über meine Anwesenheit freut. Ich schenkte Rex ein gerahmtes Foto seiner Lieblingsfußballmannschaft Manchester United – eine seltene Aufnahme der Busby Babes, die kurz vor dem Flugzeugabsturz 1958 in München aufgenommen worden war, bei dem sieben von ihnen umkamen. Es war jetzt bald Zeit rauszugehen in die Halle, wo außer Maura, meiner Tochter Karen, die damals fünf Jahre alt gewesen war, und meinem Bruder Patrick noch niemand die Who live spielen gesehen hatte. Dies war der Moment. Atme ich aus, oder atme ich ein? Ich weiß, dass mein Herz wild pumpte. Und da erschien wie aus dem Nichts – nun ja, er kam aus seinem Deluxe-Trailer – Pete und schlenderte mit seinen weisen alten Augen und seinem adretten Ho-Chi-Minh-Bärtchen zu uns herüber. Er sah mich – und ging geradewegs auf die Frau zu, die mich ertragen muss, um sie auf die Lippen zu küssen und wild zu umarmen. Da ist er also, Pete, und er ist ganz der Alte. Wir haben uns umarmt (Bäume umarmt?) seit den Tagen des Goldhawk, und es ist immer die Wärme eines guten alten Freundes gewesen, eines Mannes, den ich gleichwohl öfter als einmal verärgert habe. Eine Umarmung wie der Griff nach dem Leben, wie ein Baby deine Finger ergreift. Und dann legten The Who los. Er war mir eine Freude, den Ausdruck schieren Erstaunens auf den Gesichtern meiner Familie zu beobachten, dass jemand mit solcher Kraft spielen konnte …
Ich knuddelte meinen elfjährigen Enkel und wollte ihn gar nicht mehr loslassen, während ich der Band zusah. Meine zwei Söhne Anthony und Keith und meine Tochter Karen schauten mich nur an, grinsten und schüttelten ungläubig den Kopf – das war mein Auftritt. Nein, er war’s doch nicht. Mein Moment sollte erst noch kommen. Am Anfang von „Real Good Looking Boy“ sah man auf den Videoscreens den jungen Elvis beim Hüftschwung, wie er ihn bei den Volksfesten auf dem Land und bei den Agrarshows in Louisiana pflegte, während die Mädchen am Bühnenrand seine schwarzen und weißen Schuhe berührten. Das war toller Stoff. Ein atemloser Pete griff sich das Mikro und sagte: „Dieser Song, ,Real Good Looking Boy‘, handelt offensichtlich nicht von Jack Lyons!“ Großer Beifall. Aaah, das war jetzt mein Moment. Nein, doch noch nicht. Aber später dann, zwischen „Baba O’Riley“ und „Drowned“, hielt Pete wieder eine kleine Ansprache, und zwar über „Irish Jack – Jack Lyons, der herausgefunden hat, dass mein Großvater Maurice Michael Dennis in der Gillabey Street geboren wurde, in derselben Straße, in der auch Jack zur Welt kam“.
Mir kamen die Tränen, als Pete fortfuhr und erwähnte, welchen Einfluss ich auf sein Schreiben hatte. Ich erinnere mich nicht genau an alles, was er sagte, aber ich weiß, dass alles blitzartig geschah. Leute, die ich nicht einmal kannte, klopften mir anerkennend auf den Rücken.
Ich erinnere mich, dass ich meine Frau Maura in den Arm nahm und ihr dankte, dass sie nicht nur mich, sondern auch The Who geheiratet hatte. Nach „Tea & Theatre“ verließen Roger und Pete die Bühne, und Roger sagte noch irgendwas wie: „Gute Nacht, vergelt’s Gott, und vergesst nicht, euch um euren Postboten zu kümmern!“
Wie abgesprochen wurde ich in Petes Trailer eingeladen. Er bot mir Tee an, aber ich wollte keinen. Die paar Jahre, die wir uns nicht gesehen hatten, waren schnell vergessen. Ich übereichte ihm sein Geschenk und erlaubte ihm großzügig, die Verpackung zu öffnen. Er grinste breit, als er das Buch Michael Collins von Tim Pat Coogan sah, das Maura und ich mit einer Widmung versehen hatten. Wer online Petes anfangs erwähnten Diskussionsstrang „I’m Coming Back To Cork“ gelesen hat, mag sich erinnern, dass Michael Collins ein irischer Freiheitskämpfer aus Clonakilty in Cork war, der als junger Mann nach London emigrierte, wo er in West Kensington zusammen mit seiner Schwester Hannie hinter dem Schalter des Postamts arbeitete. Petes Urgroßmutter mütterlicherseits, Ellen Dennis, die Petes Mutter Betty und deren Bruder Jack aufgezogen hatte, war eine entfernte Cousine von Michael Collins gewesen und während des irischen Bürgerkriegs mehrmals still und heimlich nach London gefahren, um Geld zu sammeln. Collins geriet am 22. August 1922 in Beal na mBlath, Cork, in einen Hinterhalt und wurde erschossen. Durch eine seltsame Marotte des Schicksals lebte mein Cousin Joey – dem ich es verdanke, dass ich 1962 meine erste Liveband (die Detours) bei einem Tanzabend im Boseleys in Shepherd’s Bush erleben konnte – mit seiner Frau Sheila Lamb in der Masbro Road gleich um die Ecke von jenem Postamt in West Kensington, und Sheila arbeitete hinter demselben Schalter wie damals Michael Collins, viele Jahre später natürlich. Und während Collins im Postamt beschäftigt war und dabei seinen politischen Zielen nachging, wohnte er in der Nähe in der Netherwood Road 5, in West Kensington – direkt um die Ecke, wo Bob und Mia Priddens Kinder Luca und Ben eine Zeitlang gewohnt hatten.
In seinem Trailer redete ich mit Pete über Colin Dexter, den Verfasser der Inspektor-Morse-Bücher, deren Fan ich bin. Ich erzählte ihm, dass ich Colin Dexter vor einigen Jahren im Dew Drop Inn in der Banbury Road in Oxford getroffen hatte – nach einer Lesung für die Debattiergesellschaft Oxford Union. Er war echt amüsiert und fasziniert, dass jemand wie ich sich hinter ein Lesepult stellte und dem Publikum im William-Morris-Saal erzählte, wie er als Original-Mod aus Shepherd’s Bush zur zentralen Figur eines Albums wurde und mit einer Rockband aufwuchs. Dexter schien dieses Phänomen schließlich bewältigt zu haben und fragte dann höflich mit seiner kultivierten Stimme: „Das ist ja sehr interessant. Aber was ist mit diesen anderen Bands, diesen Rolling Stones und The Led …?“
„Sie meinen Led Zeppelin?“, fragte ich.
„Ja, genau. Haben die denn einen Leser?“
„Ach nein“, antwortete ich, „nur eine Band wie The Who haben einen.“
Und ich sah in seinen Augen einen wissenden Schimmer, wie ihn alle großen Schriftsteller erkennen lassen, falls man Glück hat.
„Aha“, meinte er mit einer gewissen Belustigung in der Stimme, „nur The Who.“
Pete und ich redeten noch eine Weile über Colin Dexter. Ich erinnerte mich, dass Emma Townshend in einem Artikel im Independent erwähnt hatte, dass sie oft mit ihrem Vater zusammen die Filme mit Inspektor Morse angeschaut und versucht hatte, die Fälle zu lösen. Wie erstaunlich. Ich erzählte Pete, dass ich mein Lieblingswort aus einem Inspektor-Morse-Buch hatte: sesquipedalian. Es bezeichnet den überflüssigen Gebrauch eines langen Wortes (deutsche Übersetzung in etwa: schwülstig). Und Townshends Augen glänzten und lachten, als ich ihm das erzählte.
Zeit, die Familie zu treffen. Die nächsten fünfzehn Minuten vergingen, während Pete von der Fotografenmeute praktisch aus allen Blickwinkeln geknipst wurde, während der Aufpasser Mark ein wachsames Auge aufs Geschehen hatte. Die Fotos waren alle geschossen … fast alle … Pete wollte gerade zurück in seinen Trailer, als meine Frau Maura rief: „Jackie, stell dich doch mal für ein Foto neben Pete.“
Jackie. Pete schaute mich grinsend an, und im Nu verstand er meine persönliche Geschichte. Jackie – so hatte mich meine Mutter in Irland immer genannt. Und dieser blöde Mädchenname hatte mich noch in London verfolgt, als ich in Shepherd’s Bush aufwuchs. Mein Untergang. Dr. Jackie & Mister Jack! Diesen Namen wollte ich austreiben. Dieser Name führte dazu, dass ich 1962 die Tanzfläche im Boseleys überquerte, um einem großen, schlaksigen, glatthaarigen Burschen mit einer Nase wie eine Maurerkelle, der wahrscheinlich sogar eine Freundin hatte und der sich eine riesige akustische Gitarre mit einem Riemen um den Nacken gehängt hatte, die Hand zu schütteln: „Hallo, ich bin Jack aus Shepherd’s Bush.“
„Hallo, Jack aus Shepherd’s Bush. Ich bin Pete aus Ealing.“
Fing so nicht alles vor fünfundvierzig Jahren für mich an?
Und so endet meine Reise.

Copyright 2008 Irish Jack Lyons.
Deutsche Übersetzung von Manfred Gillig-Degrave.
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck, Verwertung und Vervielfältigung, auch auszugsweise und in elektronischen Systemen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.
Weitere Informationen unter http://www.thewho.net/irishjack

Interview mit Simon Phillips

Simon Phillips, geboren 1957 in London, gehört zu den profiliertesten britischen Schlagzeugern und arbeitete mit bekannten Künstlern der unterschiedlichsten Stilrichtungen (Jeff Beck, Eric Clapton, Brian Eno, Mike Oldfield, 10cc, Stanley Clarke, Mick Jagger, Judas Priest, Jimmy Page, Nik Kershaw u. a.). Nach seiner Mitwirkung an Pete Townshends Soloplatten trommelte er 1989 erstmals für The Who. Sein letzter Bühneneinsatz für The Who war im Jahr 2000, als er bereits der amerikanischen Band Toto angehörte. Während des Interviews, das im Januar 2008 stattfand, kam überraschend heraus, dass Petes und Simons Vater einander gut gekannt hatten, da beide als professionelle Jazzmusiker in Londoner Clubs unterwegs gewesen waren.

Christoph Geisselhart: Simon, kannst du dich erinnern, wie deine Zusammenarbeit mit Pete begann? Wann habt ihr euch erstmals getroffen – es müsste 1979 oder Anfang 1980 gewesen sein?
Simon Phillips: Wir begegneten uns zuerst im Wessex Studio, als ich zu den Aufnahmen von (Petes Soloalbum) Empty Glass aufkreuzte. Sein Manager hatte mich angerufen, um mich für diesen Termin zu buchen.

Auf deiner Webseite habe ich gelesen, dass nach deiner Ansicht alle Aufnahmen, die du mit Pete gemacht hast, deinen Stil perfekt repräsentierten, und dass sich Petes Songs quasi wie von selbst spielen. Kannst du das genauer erklären?
Simon: Für manche Songs braucht man eine Weile, bis man heraus hat, wie man sie am besten spielt. Andere funktionieren sofort hervorragend. Das liegt am Kompositionsstil. Ich fand immer, dass sich Petes Kompositionen ganz leicht spielen lassen und dass man sofort ein Teil von ihnen wird.

Wie stellte Pete dir seine Songs im Studio vor? Mit The Who lief es ja üblicherweise so, dass er den anderen seine Demobänder vorlegte, auf denen schon die Basisspuren von Bass und Schlagzeug enthalten waren. Aber dein Schlagzeugspiel, zum Beispiel auf dem Titelsong „Empty Glas“s, ist weit davon entfernt, dass man sich vorstellen könnte, ein Gitarrist wie Pete, selbst wenn er ein guter Multiinstrumentalist ist, könnte dir etwas vorgeben. Erteilte er dir irgendwelche Anweisungen, oder habt ihr einfach nur losgelegt?
Simon: Ich kann mich schlecht daran erinnern; aber woran ich mich erinnere, ist, dass ich beim Anhören eines seiner Demos fragte: „Pete, was willst du noch von mir? Für mich hört sich das schon fix und fertig an.“ Er freute sich wie ein Schneekönig über mein Kompliment, aber er wollte unbedingt, dass ich den Song auf meine eigene Weise spielte. Die Atmosphäre im Studio war großartig. Wir spielten alles live ein – Rabbit am Klavier, Tony Butler am Bass und Pete an der Gitarre. Es war wunderbar!

Pete hatte damals (1980-82) schwerwiegende private Probleme, er fühlte sich zerrissen zwischen The Who und seiner Solokarriere und stand unter gewaltigem Produktionsdruck. Habt ihr auch darüber gesprochen?
Simon: Das war noch ganz zu Beginn unserer Beziehung, deswegen sprachen wir wenig über persönliche Angelegenheiten. Ich denke, er genoss es gleichwohl, mit mir zusammen zu arbeiten, wir blieben strikt auf der beruflichen Ebene.

Welchen Eindruck hattest du von den umstrittenen Who-Alben Face Dances und It’s Hard? Und was glaubst du, war der Grund für das Auseinanderbrechen der Who danach?
Simon: Face Dances gefiel mir, und ich fand, dass Kenney darauf toll spielte. It’s Hard ging an mir vorbei – ich habe das Album nie angehört. Ich denke, nach Keiths Tod war die Band so anders geworden und hatte sich irgendwie totgelaufen. Sie brauchten eine Pause, und Pete musste den Übergang vom früheren Leben zum späteren vollziehen, persönlich wie als Künstler. Das versteht man vielleicht nur, wenn man so lange in einer Band war. Ich bin jetzt seit 15 Jahren bei Toto und kenne das Gefühl. Das kann man nicht erklären. (Anmerkung: Toto löste sich kurz nach dem Interview auf.)

Pete bezeichnete dich als einen Drummer, der über das Zuhören zu seinem Spiel findet. Keith Moon war in dieser Hinsicht genauso – allerdings trommelte er vollkommen anders. Was gefällt dir an Keiths Stil? Hast du ihn je getroffen, und bezog sich Pete gelegentlich auf Keiths Spielweise?
Simon: Keith habe ich nie kennen gelernt, aber nachdem ich mit Pete, Roger und John auf Tournee war, habe ich das Gefühl, als würde ich ihn ein wenig kennen. Er war ein sehr flüssiger Schlagzeuger, er bewegte sich viel und spielte innerhalb der Musik. Sein Spiel war nicht festgelegt oder grundiert – komplett andere Spielweise. In gewisser Hinsicht war er das Rockgegenstück zu Tony Williams. Pete erwähnte mir gegenüber niemals Keiths Spiel. Er war zufrieden mit mir und ließ mich die Musik immer dorthin führen, wohin ich wollte. Nur Roger sagte nie irgendwas. Er war nicht so angetan von meiner eher jazzigen Auslegung. Ich glaube, insgeheim gefiel Pete gerade das so (lacht).

Ich habe gelesen, dass du dich 1974 von Billy Cobham und Cozy Powell zum Spiel mit zwei Bassdrums hast inspirieren lassen – nicht von Keith oder Ginger Baker, die ich immer für die Pioniere der beidfüssigen Trommelarbeit in der Rockmusik gehalten habe. Kannst du darüber mehr erzählen?
Simon: Eigentlich war Louis Belson der erste, der mich inspirierte – oder auch Carmine Appice. Ich fand immer, dass keiner sie bis jetzt übertroffen hat. Aber erst als ich Tommy Aldridge von Black Oak Arkensas sah, hörte ich, was ich hören wollte.

Ich würde gern ein wenig über die Mitglieder der aktuellen Who-Touring-Band und die „Schattenleute“ der Who erfahren, mit denen du ja auch schon zusammen gearbeitet hast. Kannst du uns etwas über Rabbit, deinen Vorgänger Kenney Jones, deinen Nachfolger Zak Starkey und Petes Bruder Simon erzählen – wie schätzt du sie als Musiker und als Menschen ein?
Simon: Rabbit kenne ich seit den siebziger Jahren – ein toller Musiker und einer dieser originalen Rocksessiontypen. Kenneys Spielweise hat mir sehr gefallen, als ich ihn mit The Who 1979 sah. Er spielte ganz anders, das war alles, und mit dem Phantom eines Keith Moon zu leben, ist alles andere als einfach. Ich musste das sowohl mit The Who als auch mit Toto erfahren. Du musst dich dann ganz auf dein eigenes Ding konzentrieren und dich nicht darum kümmern, was andere Leute denken oder sagen. Ich denke, Zak brauchte eine Weile, bis er seinen Platz in der Band gefunden hatte. Auch sein Spiel brauchte eine Weile, bis es seins wurde und bis er genug Selbstvertrauen hatte. Auf jeden Fall fand ich, dass er großartig spielte, als ich ihn vor ein paar Jahren, als John schon tot war, mit The Who in Los Angeles sah. Er machte diesen Gig wirklich zu seinem eigenen. Mit Pino habe ich auf ein paar Platten zusammen gespielt – leider nicht so viele, wie ich gern gemacht hätte. Er ist ein klasse Bassist und ein wundervoller Musiker. Von Simon Townshend, Petes Bruder, war ich in den frühen Achtziger, als er seine Band zusammenstellte, ein richtig großer Fan. Ich hielt es immer für eine Schande, dass er nie die Anerkennung erhielt, die er verdiente. Er ist außerordentlich talentiert. Ich vermute, es ist schwierig, so einen berühmten Bruder zu haben – aber jetzt ist er in der Band, und ich hoffe, es macht ihm Spaß.

1985 hast du mit Pete an White City gearbeitet, abermals ein großartiges Soloalbum. Ich muss gestehen, als ich „Face The Face“ das erste Mal hörte, dachte ich, Pete habe einen unglaublich guten Drumcomputer eingesetzt – hast du irgendwelche Computer benutzt, und war es schwierig, diesen Song live zu spielen?
Simon: Ha, das ist gut! Es ist ein harter Song, und es war in der Tat ziemlich heftig, wie ein Drumcomputer zu spielen, daran musste man arbeiten. Aber es machte auch Spaß.

Nach der Tour 1985/86 mit Pete …
Simon: Das war keine echte Tournee, sondern wir spielten nur ein paar Shows. Ich wünschte, wir hätten damals auf Tournee gehen können. Ich bin Pete deswegen immer hinterher gelaufen, und er war immer hinter mir her, dass ich es bezahle!!!

… 1989 warst du dann als Who-Schlagzeuger mit auf der großen 25-Jahre-Jubiläumstournee. Für die vierzig Shows habt ihr angeblich siebzig Songs einstudiert, wovon durchschnittlich fünfunddreißig pro Konzert gespielt wurden. Kannst du dich an die Proben erinnern?
Simon: O ja, ich erinnere mich, danke! Tatsächlich probten wir insgesamt hundertzwanzig Songs – es war lächerlich. Kein Kommentar. Roger und John kannte ich vor den Proben noch nicht. Aber es war toll, als die ganze Band endlich zusammen spielte.

Erinnerst du sich auch an deinen ersten Who-Gig? Es war der 21. Juni 1989 …
Simon: Als ob es gestern gewesen wäre. Das Konzert dauerte viereinhalb Stunden!!!

Ihr habt vor Millionen jubelnden Leuten gespielt. Allein ins Giants Stadium von New Jersey kamen fast eine viertel Million Fans an vier Tagen – wie war das Gefühl, vor so vielen Menschen aufzutreten? Fühlte man sich wie der größte aller Superstars, oder krachte man danach hinter der Bühne zusammen? Wie kommt man nach so einer Erfahrung wieder auf den Boden?
Simon: Ich ging was essen und genoss ganz einfach die Gegenwart der Leute, mit denen ich zusammen war. Mit John verband mich am meisten. Ich feierte damals auch noch recht gern, und Pete und Roger waren übers Partymachen schon hinaus. Mit Pete war ich ziemlich oft essen. Wenn man sich erst einmal an alles gewöhnt hat, läuft es wie von selbst. Du spielt Musik, arbeitest hart, hast Spaß dabei, und dann versuchst du ein bisschen zu schlafen (lacht).

Pete sagte über diese Tournee, dass da bloß ein Dutzend Musiker auf der Bühne gewesen seien, die Who-Songs spielten. Hast du dich als richtiges Mitglied einer Band namens The Who gefühlt oder eher wie ein bezahlter Musiker auf Petes, Johns, Rogers Lohnabrechnung?
Simon: Nein – ich fühlte mich, als ob ich Teil von The Who sei! Mit so vielen Leuten auf der Bühne war das freilich manchmal schwierig. Aber bei den Gelegenheiten, als wir nur zu viert auf der Bühne standen, fühlte es sich wirklich wie The Who für mich an.

Insgesamt wurden bei dieser Tournee etwa vierunddreißig Millionen Dollar eingenommen. Darf ich fragen, wie du und deine Mitmusiker bezahlt wurden?
Simon: Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass ich gut bezahlt wurde.

Deine Zusammenarbeit mit The Who ging nach der Tour weiter, aber nachdem du 1992 Mitglied bei Toto geworden warst, konntest du nur noch zeitweise für Roger, Pete und John trommeln. Interessanterweise hast du ja auch mit allen drei Whos solo gearbeitet …
Simon: Das war wirklich eine schwierige Wahl, sich entscheiden zu müssen zwischen der Quadrophenia-Tournee mit The Who 1996 oder bei Toto zu bleiben. Ich vermisste es, nicht mehr mit The Who zu spielen, aber bei Toto war ich festes Mitglied, kein Begleitmusiker. Das ist ein großer Unterschied. Außerdem begann ich mit einer Solokarriere. Das hätte ich wahrscheinlich nicht getan, wenn ich mit The Who weiter gemacht hätte.

Ich habe gelesen, dass du in der Dixieland-Band deines Vaters Sid das Schlagzeugspielen gelernt hast. Wie ging es mit deinem Vater in den siebziger Jahren weiter – und wusstest du, dass auch Petes Vater ein respektierter Jazzmusiker am Saxofon gewesen war?
Simon: Mein Vater starb 1973. Er spielte Klarinette und führte eine Dixie-Tanzband an, in der ich von 1969 bis 1973 Schlagzeug spielte. Übrigens kenne ich Cliff Townshend – mein Vater und er kannten sich recht gut.


Copyright 2008 Christoph Geisselhart und Simon Phillips.
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck, Verwertung und Vervielfältigung, auch auszugsweise und in elektronischen Systemen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.
Weitere Informationen unter www.simon-phillips.com