Die Interviews für Maximum Rock

Christoph Geisselhart, Künstler und Autor, hat für seine Biografie über die britische Rockgruppe The Who Augenzeugen, Musiker, Freunde und Geschäftspartner der Band befragt - darunter natürlich vor allem Pete Townshend, den damals 64-jährigen Schöpfer der großen Who-Hits; aber auch Simon Phillips, Who-Schlagzeuger zwischen 1989 bis 2000; Godfrey Townsend, einst glühender Who-Fan in New York und später Mitglied der Band des Who-Bassisten John Entwistle; Shel Talmy, Produzent der frühen Who-Platten, oder Irish Jack Lyons, der als ältester Fan der Gruppe im Mod-Opus Quadrophenia sogar Teil des Werks wurde. Auszüge aus diesen Interviews und Hintergrund-Stories werden hier veröffentlicht.

Interview mit Godfrey Townsend

Wenn Who-Bassist John Entwistle die Mitglieder seiner Soloband zu präsentieren pflegte, erntete er bei der Vorstellung seines Gitarristen und Sängers regelmäßig irritierte Blicke, denn der langmähnige und deutlich jüngere Musiker an seiner Seite hieß Godfrey TOWNSEND. John, mit bestem britischem Humor ausgestattet, genoss es sichtlich, wenn das Publikum darüber spekulierte, ob es sich bei diesem Musiker um einen Bruder oder sonstigen Verwandten des berühmten Who-Bandleaders Pete Townshend handelte. Godfrey indes ist gebürtiger New Yorker, und zu dem berühmten Townshend aus London fehlt ihm nicht nur ein H im Nachnamen, sondern auch jeglicher verwandtschaftliche Bezug. Man hätte also von einem Witz des Schicksals sprechen können, dass John abseits von The Who mit einem weiteren Towns(h)end zusammenspielte. In meinen Interviews mit Godfrey, die sich quasi über den ganzen Zeitraum, in dem ich an der Biografie arbeitete, erstreckten und der deswegen bald zum unverzichtbaren Ratgeber in vielen musikalischen und persönlichen Fragen wurde, kam jedoch heraus, dass Godfrey schon als siebzehnjähriger Schüler nach einem Who-Konzert tüchtig am Schicksalsrad mitgedreht hatte. Die hier veröffentlichten Auszüge behandeln vor allem Godfreys Beziehung zu John, der ein erstaunlich chaotisches Privatleben führte und neben The Who eine ausgedehnte Solokarriere verfolgte. Nach Johns Tod arbeitete Godfrey mit vielen Stars aus der Glanzzeit der Rockmusik wie Jack Bruce (Cream) oder Alan Parsons, den ich während der Europa-Tournee im Sommer 2008 ebenfalls kennen lernte und der sich als überzeugter Who-Fans zu erkennen gab. Der Kontakt zu Godfrey entstand übrigens über Oliver Baumann, den Bassisten der deutschen Who-Coverband WhoAreYou, dessen Beiträge zur Spieltechnik des Jahrtausendmusikers Entwistle ebenfalls in die Who-Biografie eingeflossen sind.

Christoph Geisselhart: Godfrey, danke für deine Bereitschaft, mir bei der Einschätzung der Person John Entwistles und bei musikalischen Fragen zum Werk der Who behilflich zu sein. Als Gitarrist und Sänger zahlreicher Who-Songs an der Seite des Who-Bassisten kannst du sicher viel zur Aufklärung beitragen. Deine persönlichen Erinnerungen an John beginnen mit dem Who-Konzert im Juni 1974 in New York. Als angehender Gitarrist wirst du wahrscheinlich aber eher auf Pete geachtet haben, oder?
Godfrey Townsend: Ich glaube nicht, dass ich damals auf einen der Vier besonders fokussiert war. Alle Vier waren meine Helden, und es war aufregend, sie zu beobachten. John stand wie eine Statue von einem Spot beleuchtet vor seinen Verstärkern; es war magisch zu beobachten, wie seine Finger über den Bass flogen. Sie spielten ein paar Sachen aus Quadrophenia und hatten während der ganzen Tournee große Probleme mit der Tonbandsynchronisation. Demzufolge war Pete erkennbar frustriert, und sie gingen von der Bühne ab, ohne eine Zugabe zu spielen. Ein paar Leute ärgerten sich darüber und warfen Flaschen und so auf die Bühne. Ich erinnere mich, dass ich mich beeilte, aus der Flugbahn zu kommen, und dass ich die Roadies beobachtete, wie sie sich bemühten, nicht getroffen zu werden. Aber das Bemerkenswerteste an dieser Show war für mich natürlich, dass ich draußen einer Limousine hinterher rannte und dabei Pete und Keith kennenlernte.

Das klingt interessant. Kannst du mehr erzählen?
Godfrey: Klar. Das war, wie gesagt, im Juni 1974, ich war siebzehn, und in derselben Woche machte ich auch meinen Schulabschluss. Das war alles sehr aufregend in diesem Sommer. The Who spielten vier Tage im Madison Square Garden, 10. bis 14. Juni. Für den ersten Tag hatte ich ein Ticket in der zweiten Balkonreihe, wir hüpften aber in den Orchestergraben, um besser sehen zu können. Golden Earring fingen an, ich erinnere mich noch an ein Solo des Bassisten auf einem Danelectro Longhorn Bass. Dann kamen The Who, sie waren um ein Vielfaches lauter. Nach der Show entdeckte eins der Mädchen, mit denen ich beim Konzert gewesen war, eine vorbeifahrende Limousine, in der Pete saß. Ich rannte sofort hinterher, was nicht schwer war, da der Wagen an einer roten Ampel halten musste, und klopfte gegen die Seitenscheibe. Pete ließ das Fenster runter – und neben ihm saß Keith Moon. Ich zog meine Brieftasche hervor und kramte nach meinem Schülerausweis, um Pete meinen Nachnamen zu zeigen. Er fragte scherzhaft, ob ich ihm Geld geben wolle; erst nachdem ich ihm meinen Ausweis gegeben hatte, meinte er: „Den Ausweis kann ich leider nicht benutzen, ich heiße nicht Godfrey!“ Ich sagte ihm, er solle den Ausweis behalten und sich meinen Namen merken, weil ich eines Tages auch ein berühmter Musiker sein würde. Was man als wildgewordener Teenager eben so von sich lässt. Währenddessen versuchte Keith, mir ein Glas Wein durchs Fenster zu reichen. Er sagte: „Hier, trink mal was“, aber ich war zu sehr von meinem Gespräch mit Pete absorbiert. Ich sagte auch, dass die Leute sauer gewesen waren, weil es keine Zugabe gegeben hatte, und dass John nach meiner Meinung etwas morbid auf der Bühne aussah. „Kann schon sein“, meinte Pete. „Aber er ist verdammt noch mal der beste Bassist der Welt!“ Dann schaltete die Ampel auf grün, Pete steckte meinen Ausweis in seine Tasche, und fort waren sie. Jetzt hatte ich natürlich eine tolle Geschichte zu erzählen. Auf dem ganzen Heimweg überlegte ich fieberhaft, was ich als nächstes tun sollte. Ich wusste jetzt, wo die Limos vorfuhren, und es gab noch drei weitere Shows. Am nächsten Abend warteten wir im Auto des Vaters meines Freunds mit den beiden Mädels vom Vorabend an der Ausfahrt, wo die Limos rauskamen. Irgendwann gegen Mitternacht öffnete sich das große Tor, und die erste Limo fuhr raus. Eins der Mädchen kreischte: „Es ist Roger!“ Als die Limo uns passierte, stürzte ein Stadtstreicher genau vor unserem Auto auf die Straße. Logischerweise konnten wir ihn nicht überfahren, also schrieen wir, er solle aufstehen und aus dem Weg gehen. Die Mädchen sprangen schließlich raus, packten ihn und setzten ihn auf den Gehweg. Es war total hysterisch. Dann sprangen sie wieder in den Wagen, und wir rasten los, um Rogers Limo einzuholen. Irgendwie schafften wir es, neben seinem Auto her zu fahren, und die Mädels unterhielten sich mit ihm, während sie bei sechzig Sachen aus dem Fenster hingen. In der folgenden Nacht fuhren wir wieder hin, und diesmal war es Johns und Petes Limo, die wir verfolgten. Ich war zur Limo gelaufen, als sie aus der Ausfahrt kam, und hatte John die Hände geschüttelt. Dann zeigte ich Pete ein Porträt von ihm, das ich im Kunstunterricht gezeichnet hatte. Ich hatte eine ältere Vorlage verwendet, so aus der Zeit von „Tommy“, als Pete im T-Shirt mit einer Fender Strat spielte. Ich erinnere mich, dass er sagte: „Das soll ich sein? Sieht eher aus wie Jeff Beck!“ Die vierte und letzte Nacht war die beste. Roger hatte uns durch Autofenster erzählt, dass im Manhattan Center nach dem letzten Auftritt eine große Party steigen würde. Mein Freund und ich sausten direkt nach unserer Schulabschlussfeier hin, um dort irgendwie reinzukommen. Wir beobachteten, wie all die berühmten Leute eintrafen, Cher, Diana Ross, Elton John, Leslie West und andere. Plötzlich hielt eine Limo an, und Pete stieg aus. Die ganze Fanmeute lief auf ihn zu, aber er drehte sich schnell ab und rannte in die nächste Straße, fast wäre er dabei in ein Polizeiauto gelaufen. Er schien angetrunken und war sichtlich genervt. Dann ging er die Straße runter, weg vom Manhattan Center. Ich holte ihn ein und ging neben ihm her und hörte zu, wie er Dampf abließ. Wir marschierten zusammen den ganzen Weg rauf von der 33sten bis zur 59sten Straße, wo er im Hotel Pierre abgestiegen war. Unterwegs hielt ihn ein Penner an, sang ihm was vor und hielt die Hand für etwas Geld auf. Pete lauschte eine Weile, dann griff er in die Tasche, als wollte er Geld rausholen, aber er krempelte nur den Inhalt nach außen, um zu zeigen, dass er nichts dabei hatte. Ich erinnere mich, dass ich dachte: Unglaublich, Pete Townshend läuft ohne einen einzigen Penny durch die Straßen von Manhattan! Vor dem Hotel wartete ein weiblicher Fan in einem schulterfreien Oberteil, das sie von Pete signiert haben wollte. Pete tat, wie ihm geheißen, sagte „Gute Nacht“ und ging ins Hotel. Am nächsten Tag prangte das Foto von dem Mädchen mit dem signierten Top von der Titelseite der Stadtzeitschrift – ein tolles Andenken an vier magische Nächte im Leben eines jugendlichen Rockmusikers.

Hast du The Who danach noch mal live gesehen, bevor du John kennen lerntest?
Godfrey: Ja, ich sah sie im Spectrum Dome in Philadelphia 1979 mit Kenney Jones am Schlagzeug.

Das war unmittelbar nach der Tragödie von Cincinnati. Kannst du dich an die Stimmung im Auditorium erinnern? Gab es besondere Reaktionen auf das Unglück?
Godfrey: Ich glaube nicht, dass viele Zuschauer davon gehört hatten. Ich erinnere mich, dass die Band gedämpfter klang, was auch an Kenney lag. Er ist ein schlichterer Schlagzeuger als Keith (wie wohl die meisten anderen Drummer auf diesem Planeten). Der Auftritt war strukturierter und nicht mehr so wie eine wilde Jamsession. Kenney ist bestimmt ein guter und solider Drummer – aber er war nicht der richtige für sie.

Hast du das damals schon so empfunden?
Godfrey: Vielleicht ist es etwas zu frei heraus gesagt, dass ich ihn nicht für den richtigen hielt. Er trug viel dazu bei, dass die Band solide und taktgenau spielte, aber er steuerte wenig Spannungsvolles zur Who-Musik bei. Lass es mich so sagen: wir vergleichen ihn schon wieder mit dem verrücktesten und wildesten Schlagzeuger aller Zeiten. Er kam von den Small Faces, einer Band, die viel dezenter und gemäßigter war als The Who. Ich möchte nur feststellen, dass sein Stil ein wenig zu sehr darauf bedacht war, sicher zu spielen, für die Ekstase, die wir bisher von der Rhythmusgruppe gewohnt waren. Ich lernte Kenney 1979 übrigens auch kurz kennen, als ich vor Johns Hotelzimmer herumhing, wo eine After-Show-Party abging. Kenney hockte auf dem Boden in einer Ecke des Raums, und ich ging hin und sagte ihm, er habe einen tollen Job gemacht und dass es wohl für jeden schwer sei, in Keiths Fußstapfen zu treten. Er schien das als Kompliment aufzufassen.

Wie hast du eigentlich John kennen gelernt?
Godfrey: Ich traf ihn und andere Who-Mitglieder immer mal wieder unverbindlich nach Who-Konzerten. Meine berufliche Verbindung mit John begann erst nach 1994, als wir zusammen im China Club jammten.

Das muss im Februar 1994 gewesen sein, nach der Daltrey-Sings-Townshend-Show in der Carnegie Hall?
Godfrey: Richtig. Der China Club war ein bekannten und angesagter Club in New York City, wo ich viele Stars und berühmte Musiker kennen lernte, die meiner Karriere einen großen Schub verliehen haben. Es gab dort einmal in der Woche eine offene Jamsession, und da tauchte ich regelmäßig auf und spielten mit vielen großartigen Musikern. Nach einer Weile gehörte ich zur Hausband und half mit, die Sessions zu organisieren. John kreuzte dann im China Club auf, nachdem er beim Daltrey-Sings-Townshend-Konzert gespielt hatte – der China Club war, wie erwähnt, der angesagteste Schuppen in der Stadt. Er brachte viele Gastmusiker von der Show mir, Pino Palladino zum Beispiel, und wir jammten stundenlang. Ich spielte Gitarre und sang zu Dutzenden von Who-Songs in dieser Nacht, das war wohl meine Bewerbungsvorstellung, denn als John beschloss, eine Soloband für seine Tournee auf die Beine zu stellen, erinnerte sich an mich und engagierte mich als Sänger und Gitarristen.

John kam zusammen mit seinem späteren Nachfolger Pino? Ich wusste nicht, dass sie sich gekannt hatten. Kannst du etwas dazu sagen?
Godfrey: Ich weiß leider nichts über ihre Beziehung zueinander. Ich kenne aber jemand, der mehr dazu wüsste und dich mit ihm in Kontakt bringen könnte – Bob Pridden.

Auf dieses Angebot komme ich gern zurück. Jetzt möchte ich aber die Gelegenheit nutzen und dich zu den weniger bekannten Mitgliedern der aktuellen Who-Touring-Band befragen. Kannst du mir helfen, Pino, Zak, Petes Bruder und Rabbit als Musiker und Personen besser zu verstehen? Vielleicht beginnen wir gleich mit Pino, der John im Sommer 2002 als Who-Bassist beerbte.
Godfrey: Ich habe ihn nur kurz kennen gelernt und vielleicht zwei oder drei Mal mit ihm gesprochen. Er scheint ein sehr netter, ruhiger Mensch zu sein. Ich kann wenig über ihn als Person sagen, aber finde, er ist ein unglaublicher Bassist. Sein Basspart auf Petes Song „Give Blood“ ist umwerfend, tödlich! – Mit Simon Townshend habe ich früher viel gejammt und bin mit ihm ausgegangen. Ich mag ihn sehr, wir betrachten uns als eine Art entfernte Cousins. Ich denke, er ist super talentiert als Sänger, Songwriter und Gitarrist. Ich liebe seine Stimme und seine besonderen Gitarrenstimmungen. Er klingt sehr ähnlich wie Pete, vermutlich eher aufgrund genetischer Veranlagung als durch Beeinflussung. Ich finde, er sollte ein großer Star sein. Leider ist das Musikgeschäft heute so degeneriert, dass es manchmal eher ein Fluch als ein Vorteil ist, mit jemand verwandt zu sein, der schon berühmt ist.

Simon Phillips hat mir Ähnliches über Petes Bruder gesagt. Hast du eine Erklärung dafür, warum sein Nachname für ihn so von Nachteil ist, dass er trotz seines Talents nicht durchkommt?
Godfrey: Ich glaube, das liegt daran, dass man ihn strenger bewertet, gerade weil er Petes Bruder ist. Die Leute nehmen von vornherein an, dass du in Wahrheit gar kein Talent hast, sondern bloß wegen deiner Beziehungen durchgekommen bist. Du musst dann noch mehr unter Beweis stellen, dass du gut bist. Und trotzdem wirst du immer noch ständig verglichen und bewertet.

Von Simons Sohn Ben habe ich kürzlich ein Demo gehört. Ich glaube, die Band hieß The Volts, und sie machten mächtig Dampf. Weißt du wie alt Ben ist, ob er Geschwister hat und warum er das Schlagzeug zu seinem Instrument gewählt hat (und nicht die Gitarre)?
Godfrey: Ben ist ein verflucht guter Drummer. Ich kenne ihn aber nicht so gut wie Simon. Ich glaube, er ist Anfang zwanzig. Er spielte schon Schlagzeug auf Simons Platten und ging mit ihm auch auf Tour. Simon hat, soweit ich weiß, drei Kinder. – Und wo wir gerade von verflucht guten Drummern sprechen: Zak ist nach meiner Meinung perfekt für The Who. Simon Phillips ist vermutlich mein Lieblingsschlagzeuger auf dieser Welt, aber er war irgendwie etwas zu geschmeidig für The Who. Zak ist beides, geschmeidig und solide. Leider hatte ich noch nicht die Gelegenheit, mit ihm zu jammen, aber wir sind ziemlich oft miteinander herum gehangen. Meine Spielweise gefällt ihm offenbar gut genug, um mir von einer DVD der John Entwistle Band vorzuschwärmen. Er sagte mir etwas sehr Interessantes, als wir uns bei Johns Trauerfeier trafen. Er sagte: „Nicht das Kokain hat John umgebracht, sondern Fish & Chips haben das getan.“ Die Wahrheit ist, dass John schon 1996, als wir auf unserer ersten Tour waren, wegen Herzbeschwerden in Behandlung gewesen war. Aber natürlich können die Medien aus einer Überdosis Drogen die bessere Geschichte stricken, um ihre Blätter zu verkaufen.

Darauf möchte ich später noch mal zurückkommen. Erst noch mal zu Zak und zu John: Ich bin mir ziemlich sicher, dass John es war, der Zak für The Who entdeckt hatte – kannst du das bestätigen? John hat Zak nach meinen Informationen in einem Londoner Club mit einer seiner frühen Bands gesehen; sie hießen The Next, Dead Meat und Monopacific (zwischen 1978 und 1982), und die letzte davon wurde sogar von Keiths früherem Betreuer Dougal Butler gemanagt. Weißt du darüber etwas?
Godfrey: Ich weiß nicht viel über Zak, aber ich glaube auch, dass John der erste von The Who war, der ihn spielen gesehen hat. Zak war auf jeden Fall mal Mitglied einer früheren Band von John, die The Rock hieß. Ich erinnere mich, dass John einmal ganz beschämt über einen Zeitungsartikel war, in dem er zitiert wurde, dass er Zak für den besseren Drummer als seinen Vater Ringo halte. Ich glaube mich auch zu erinnern, dass Zak mir erzählte, Keith habe ihm sein erster Schlagzeug geschenkt.

Das war das große cremefarbene Tourschlagzeug von der letzten richtigen Who-Tour 1976. Das ist wirklich eine fantastische Geschichte, aber noch mal zurück zu Johns Herzproblemen. Habt ihr darüber gesprochen, oder gab es erkennbare Anzeichen dafür während der Tour 1996?
Godfrey: Da gab es keinerlei Vorfälle, aus denen ich Johns Herzprobleme erkennen konnte. Aber ich weiß noch, dass ich gebeten worden war, im Tourbus keine Zigaretten zu rauchen (ich habe das Rauchen eh schon Jahre vorher aufgehört), weil das John dazu anregen könnte, selbst mehr zu rauchen. Aber soweit ich das feststellen kann, hat sich John in den acht Jahren, in denen ich ihn kannte, aber von nichts oder niemand beeinflussen lassen, etwas zu tun oder zu unterlassen. Er tat, was er wollte, und er ließ, wozu er eh keine Lust hatte.

Wie würdest du seine Trinkgewohnheiten beschreiben?
Godfrey: Exzessiv. Ich glaube aber nicht, dass er zuhause so viel trank wie auf Tournee.

Es heißt auch, dass John Tabletten nahm und kokste seit den frühen Tagen der Who. Wenn man manchen biografischen Berichten folgt, ist es geradezu ein biologisches Wunder, dass John den Missbrauch so lange überlebte. Wie waren deine Beobachtungen?
Godfrey: Nun, es ist völlig klar, dass Alkohol und Drogen dir nicht gut tun, genauso wenig wie Zigaretten. In den alten Filmen, die John so liebte, rauchten immer alle ständig und tranken wie verrückt – es war so glamourös. Bis man herausfand, dass es ungesund ist. Wenn wir unterwegs waren, stand jede Nacht eine Flasche Remy Martin in Johns Garderobe. Außerdem rauchte er ungefähr zwei Packungen Winston 100 am Tag. Als Anhänger von gesunder Ernährung und Vegetarier seit 30 Jahren kann ich gut einschätzen, was gesundes Essen ist und was definitiv ungesund ist. Und John aß eine Menge ungesundes Zeug, was entscheidend zu seinen Herzproblemen beitrug. Er war ja erst siebenundfünfzig, als sein Herz kapitulierte – ich kann darin keinerlei biologische Sensation erkennen, wenn man bedenkt, dass heutzutage die Leute mit achtzig noch wunderbar leben. Verglichen damit war er doch erst in seinen mittleren Jahren.

Zeigte er manchmal Anzeichen von Sucht oder Entzug?
Godfrey: Aus meiner Sicht war John kein Abhängiger. Wenn etwas da war, nahm er es, wenn nichts da war, habe ich niemals Entzugserscheinungen oder so was beobachtet. Aber wenn es ausnahmsweise nicht er war, der die Party nach einer Show initiierte, so war er immer der erste, der mitmachte.

Kümmerte er sich denn tatsächlich so wenig um seine körperliche Verfassung?
Godfrey: Ich bin sicher, dass er nicht sterben wollte. Er genoss das Leben so sehr. Er war eine sehr starke Persönlichkeit, trotz all der Spitznamen wie „The Quiet One“. Aber seine Willenskraft war schwach. Oder wie Pete mir einst auf Johns Tod hin schrieb: „Der eigentliche Mörder hier ist die Verleugnung“. Wenn jeder von uns wirklich und ernsthaft verstünde, dass manches, was wir unserem Körper antun, uns umbringt, würden wir wohl mehr geneigt sein, das zu unterlassen. Leider halten wir uns für unsterblich.

Wie war denn das Leben auf Tour mit John? Was sind deine besten Erinnerungen?
Godfrey: Das Touren hat seine Höhen und Tiefen wie alles im Leben. Die Tour mit John 1996 war meine erste derartige Erfahrung. Wir fuhren quer durch die USA in einem Tourbus. Das allein ist schon eine Erfahrung. Und dann Tag und Nacht mit einem meiner größten Helden zusammen zu sein, das war die Erfüllung eines Traums. Neben den üblichen Tourgeschichten, die schnell langweilig und klischeehaft werden, gehört die stillen Momente zu meinen schönsten Erinnerungen, wenn wir im Bus unterwegs waren und Filme anschauten oder Johns Geschichten über die alten Who-Tage lauschten. Wir waren sehr eng beisammen und lachten viel gemeinsam. Ich hätte mir keine bodenständigere und freundlichere Person zur Zusammenarbeit vorstellen können. Wenn John mit uns zusammen war, war er einer von uns, und ich hatte das Gefühl, als würde ich ihn schon mein ganzes Leben kennen.

John verhielt sich in der Öffentlichkeit nie wie jemand, der Starallüren hat – kannst du das aus der Nähe bestätigen? Immerhin war er es zu diesem Zeitpunkt dreißig Jahre lang gewöhnt, als Superstar einer der berühmtesten Rockband der Welt hofiert zu werden. Hat das keine Wirkung bei ihm hinterlassen?
Godfrey: Du hast recht, John verhielt sich nie wie ein Superstar. Er behandelte jeden gleich. Er stand stundenlang im Regen und schrieb Autogramme, bis keiner mehr da war, der eins wollte. Er plauderte so leicht und zwanglos mit Leuten, die er gerade erst kennen gelernt hatte, als wäre er schon Jahre mit ihnen befreundet gewesen. Das einzige, was mir aufgefallen ist, war die Tatsache, dass er praktisch nie etwas selbst machen konnte. Man könnte sagen, dass er wohl ein Mensch war, der die meiste Zeit seines Lebens jemand hatte, der alles für ihn regelte. Von seiner Jugend an war er es gewöhnt, dass er herumgefahren wurde und dass alle geschäftlichen Angelegenheiten für ihn erledigt wurden. Er hatte ja nicht mal einen Führerschein – aber ein Dutzend Autos.

Das führt uns zu der Frage, wie ein Mann, der einst fürs Finanzamt gearbeitet hatte und dessen Kollegen Pete und Roger mehr als gut verdienten, so schwerwiegende finanzielle Probleme und Steuerschulden anhäufen konnte. War Johns Anwesen so teuer, oder gab er einfach nur zu viel Geld aus?
Godfrey: Ich weiß nicht all zu viel über Johns persönliche Einkommensverhältnisse. Er hatte mir einmal erzählt, dass er für Quarwood, sein riesiges Herrenhaus, in den Siebzigern rund 300.000 Dollar bezahlt habe. Es heißt Quarwood, weil es aus Felsblöcken gebaut wurde, die von einem Steinbruch in der Nähe des Hauses stammen. Das riesige Tal, das aus dem Steinbruch entstand, kann man heute noch sehen. Der Kaufpreis war zwar sicher nicht sehr hoch für ein Gut mit sieben Gehöften, einem 50-Zimmer-Schloss und vielen, vielen Hektar Land, aber John war ein gewaltiger Geldverschwender, vor allem zu Zeiten, wenn er viel verdiente. Abgesehen davon, dass er zahlreiche Leute auf der Lohnliste in Quarwood hatte, wo es ja auch noch zwei Aufnahmestudios gab, waren es die enormen Unterhalts- und Reparaturkosten, die man bei so einem großen alten Anwesen hatte. Einmal wurde ich zum Beispiel Zeuge, als „Scarlet“, einer von Johns großen Wolfshunden, die Grenze zum Nachbarsgrundstück überquerte und dort die Hühner riss. John musste daraufhin einen fünf Meter hohen Schutzzaun ums ganze Anwesen ziehen lassen, damit seine Hunde nicht fortlaufen konnten. Das kostete ihn damals etwa 15.000 Pfund. Ein anderes Mal musste er das komplette Heizungssystem im Schloss erneuern – ich bin sicher, das war nicht billig. Wenn wir unterwegs waren, gingen wir manchmal zusammen einkaufen. John liebte Wrangler Jeans und Westershemden. Ich habe ihn in einem Laden im Mittleren Westen dreißig Paar Jeans und Dutzende von Hemden auf einmal einkaufen sehen. Er konnte auch ein paarhundert Dollar dafür ausgeben, dass wir auf Rastplätzen in der Nacht im Bus Videos anschauen konnten. Ich habe ihn darin unterstützt, Dinge zu kaufen, die er wollte. Was hat das für einen Sinn, John Entwistle zu sein, wenn man sich Gedanken darum machen muss, wofür man sein Geld ausgibt? Und wie es sich zeigte, hatte er einfach Freude daran, nicht sparsam zu sein, solange er lebte.

Du hast ja auch die beiden wichtigsten Frauen nach Johns erster Ehe mit Alison kennen gelernt. Johns Beziehungen zu seinen Frauen scheinen nicht sehr glücklich verlaufen zu sein. Seine zweite Frau Maxine war wesentlich jünger, sie war einst Kellnerin im Rainbow Theatre gewesen …
Godfrey: Ich erinnere mich, wie ich in den späten 90ern einmal mit John im Rainbow saß, und er war hingerissen von einer der Kellnerinnen. Er verbrachte einige Nächte mit ihr und erzählte, dass er Max auf die gleiche Weise getroffen hatte. Wie ich schon erwähnt habe, kam Maxene oft zu Konzerten, wenn wir in LA waren. Sie wirkte sehr sympathisch auf mich. Ich habe keine Ahnung, warum sie sicht trennten.

Weißt Du auch, wie John ihre Nachfolgerin Lisa kennen gelernt hat?
Godfrey: Ja, über Joe Walsh. Sie war mit Joe zusammen gewesen, als John und Joe an Johns Album To Late The Hero arbeiteten. Den Rest der Details kenne ich nicht, aber ich kannte Lisa recht gut. Ich persönlich denke, dass die Beziehung zwischen ihr und John autodestruktiv war, wie bittersüß, denn sie liebten einander offensichtlich sehr, aber wussten nicht, wie sie das zeigen sollten. Sie waren nie verheiratet. Ich verstand mich gut mit Lisa. Sie hatte einige schwerwiegende Tiefen und war in gewisser Weise ein weiterer trauriger Fall in einer Reihe von labilen Persönlichkeiten, die in der Illusion der Drogen- und Alkoholwelt gefangen waren. Sie war innerlich sehr rein und schön, aber ziemlich verwirrt, und sie hatte einfach nicht die Stärke, um sich berappeln. Sie war sehr jung gewesen, als sie mit dem Lebensstil des Rock and Roll in Berührung kam. Sie fragte mich manchmal um Rat, weil sie wusste, dass ich ebenfalls viele Kämpfe mit meiner Drogensucht ausgefochten und wie durch ein Wunder überlebt hatte. Nach Johns Begräbnis verbrachten meine Freundin Victoria und ich ein ganze Woche mit Lisa im Hotel. Sie hatte eine große Suite und viel Platz, sie war immer großzügig. Aber sehr einsam, sie brauchte unsere Gesellschaft. Keiner kümmerte sich um sie, als alles vorbei war. Sie stand praktisch ganz allein da nach Johns Tod und hatte alles verloren. Man hatte sie praktisch aus Quarwood rausgeworfen, viele ihrer Habseligkeiten landeten fälschlicherweise in den Auktionen, die zum Quarwood-Besitz gehörten, und der Rest war irgendwo in Kisten verpackt. Ein paar Monate nach dem Begräbnis flog ich rüber, um nach ihr zu schauen, aber da war alles schon zu weit fortgeschritten. Ich wohnte in einer der Musikercottages bei ihr, aber sie verbrachte die meiste Zeit halb bewusstlos in ihrem Schlafzimmer. Kurz darauf flog sie nach Florida zu ihrer Familie; sie wollte dort ein Haus kaufen und sich niederlassen. Sie verbrachte noch ein Wochenende mit ein paar Freunden, wo sie Party machte, und wurde anderentags mit einer Überdosis tot aufgefunden …

Was mich noch interessieren würde, ist die duale Rolle, die du in Johns Band übernommen hattest. Du hast sowohl Rogers Gesangparts ausgefüllt, als auch Petes Gitarrenspiel.
Godfrey: Das war eine tolle Erfahrung für mich. Zum einen ist Petes Spielweise sehr verschieden vom Stil der meisten andern Gitarristen. Vor allem, weil er ja den Hintergrund als Banjospieler hat, woraus er wahrscheinlich seine speziellen Anschlagtechniken entwickelt hat. Auch seine Leadgitarre ist ziemlich anders als üblich. Viel mehr von der Melodie beeinflusst, als das damals üblich war – die meisten hielten sich ja an die Blues-Skala. Insgesamt ist Petes Stil völlig unvergleichlich mit anderen. Wenn er einen Powerchord spielt, klingt das wie bei keinem anderen. Man könnte sagen, Pete hat den Powerakkord erfunden. Auch mit seiner theatralischen Bühnenshow während er spielt, steht er gänzlich allein. Ich habe oft versucht, Windmühle zu schlagen, während ich live spiele, und fast jedes Mal endete das damit, dass ich mir entweder die Finger aufschlug oder einen Tonabnehmer abschlug oder die Brücke. Das ist recht schmerzhaft für den Rest der Show. Er muss das schon sehr früh perfektioniert haben. Und dann gibt es noch Petes akustisches Gitarrenspiel, das eine Klasse für sich ist. Dieser einzigartige Anschlag und dieser großartige Rhythmus – er ist der beste! Ich bin jedes Mal verblüfft über seine Jazztechnik bei „Sunrise“ von Who Sell Out. Und auf den jüngsten Touren habe ich auch gesehen, dass Pete richtig ins Solospiel eingestiegen ist, und auch das macht er wirklich gut, er ist einfach ein fantastischer Gitarrist! Und Roger gehörte schon immer zweifellos zu meinen bevorzugten männlichen Rocksängern. Neben seinem Werk mit The Who, ist auch der Gesang auf seinem ersten Soloalbum unglaublich gut. Ich ahmte seinen Gesang nach, seit ich als Teenager in Jugendbands anfing, und ich würde sagen, ich komme seiner Singweise sehr, sehr nahe. John übernahm in der Band immer die Stücke als Sänger, die er auch bei The Who sang, also „Boris“ oder „Heaven and Hell“. Ich sang alle Stücke, die Roger im Original sang. Das war wirklich eine einmalige Erfahrung, beide Rollen von Roger und Pete spielen zu dürfen – für mich als Who-Fan: Was hätte ich mir Schöneres wünschen können!?!

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