Die Interviews für Maximum Rock

Christoph Geisselhart, Künstler und Autor, hat für seine Biografie über die britische Rockgruppe The Who Augenzeugen, Musiker, Freunde und Geschäftspartner der Band befragt - darunter natürlich vor allem Pete Townshend, den damals 64-jährigen Schöpfer der großen Who-Hits; aber auch Simon Phillips, Who-Schlagzeuger zwischen 1989 bis 2000; Godfrey Townsend, einst glühender Who-Fan in New York und später Mitglied der Band des Who-Bassisten John Entwistle; Shel Talmy, Produzent der frühen Who-Platten, oder Irish Jack Lyons, der als ältester Fan der Gruppe im Mod-Opus Quadrophenia sogar Teil des Werks wurde. Auszüge aus diesen Interviews und Hintergrund-Stories werden hier veröffentlicht.

Interview mit Simon Phillips

Simon Phillips, geboren 1957 in London, gehört zu den profiliertesten britischen Schlagzeugern und arbeitete mit bekannten Künstlern der unterschiedlichsten Stilrichtungen (Jeff Beck, Eric Clapton, Brian Eno, Mike Oldfield, 10cc, Stanley Clarke, Mick Jagger, Judas Priest, Jimmy Page, Nik Kershaw u. a.). Nach seiner Mitwirkung an Pete Townshends Soloplatten trommelte er 1989 erstmals für The Who. Sein letzter Bühneneinsatz für The Who war im Jahr 2000, als er bereits der amerikanischen Band Toto angehörte. Während des Interviews, das im Januar 2008 stattfand, kam überraschend heraus, dass Petes und Simons Vater einander gut gekannt hatten, da beide als professionelle Jazzmusiker in Londoner Clubs unterwegs gewesen waren.

Christoph Geisselhart: Simon, kannst du dich erinnern, wie deine Zusammenarbeit mit Pete begann? Wann habt ihr euch erstmals getroffen – es müsste 1979 oder Anfang 1980 gewesen sein?
Simon Phillips: Wir begegneten uns zuerst im Wessex Studio, als ich zu den Aufnahmen von (Petes Soloalbum) Empty Glass aufkreuzte. Sein Manager hatte mich angerufen, um mich für diesen Termin zu buchen.

Auf deiner Webseite habe ich gelesen, dass nach deiner Ansicht alle Aufnahmen, die du mit Pete gemacht hast, deinen Stil perfekt repräsentierten, und dass sich Petes Songs quasi wie von selbst spielen. Kannst du das genauer erklären?
Simon: Für manche Songs braucht man eine Weile, bis man heraus hat, wie man sie am besten spielt. Andere funktionieren sofort hervorragend. Das liegt am Kompositionsstil. Ich fand immer, dass sich Petes Kompositionen ganz leicht spielen lassen und dass man sofort ein Teil von ihnen wird.

Wie stellte Pete dir seine Songs im Studio vor? Mit The Who lief es ja üblicherweise so, dass er den anderen seine Demobänder vorlegte, auf denen schon die Basisspuren von Bass und Schlagzeug enthalten waren. Aber dein Schlagzeugspiel, zum Beispiel auf dem Titelsong „Empty Glas“s, ist weit davon entfernt, dass man sich vorstellen könnte, ein Gitarrist wie Pete, selbst wenn er ein guter Multiinstrumentalist ist, könnte dir etwas vorgeben. Erteilte er dir irgendwelche Anweisungen, oder habt ihr einfach nur losgelegt?
Simon: Ich kann mich schlecht daran erinnern; aber woran ich mich erinnere, ist, dass ich beim Anhören eines seiner Demos fragte: „Pete, was willst du noch von mir? Für mich hört sich das schon fix und fertig an.“ Er freute sich wie ein Schneekönig über mein Kompliment, aber er wollte unbedingt, dass ich den Song auf meine eigene Weise spielte. Die Atmosphäre im Studio war großartig. Wir spielten alles live ein – Rabbit am Klavier, Tony Butler am Bass und Pete an der Gitarre. Es war wunderbar!

Pete hatte damals (1980-82) schwerwiegende private Probleme, er fühlte sich zerrissen zwischen The Who und seiner Solokarriere und stand unter gewaltigem Produktionsdruck. Habt ihr auch darüber gesprochen?
Simon: Das war noch ganz zu Beginn unserer Beziehung, deswegen sprachen wir wenig über persönliche Angelegenheiten. Ich denke, er genoss es gleichwohl, mit mir zusammen zu arbeiten, wir blieben strikt auf der beruflichen Ebene.

Welchen Eindruck hattest du von den umstrittenen Who-Alben Face Dances und It’s Hard? Und was glaubst du, war der Grund für das Auseinanderbrechen der Who danach?
Simon: Face Dances gefiel mir, und ich fand, dass Kenney darauf toll spielte. It’s Hard ging an mir vorbei – ich habe das Album nie angehört. Ich denke, nach Keiths Tod war die Band so anders geworden und hatte sich irgendwie totgelaufen. Sie brauchten eine Pause, und Pete musste den Übergang vom früheren Leben zum späteren vollziehen, persönlich wie als Künstler. Das versteht man vielleicht nur, wenn man so lange in einer Band war. Ich bin jetzt seit 15 Jahren bei Toto und kenne das Gefühl. Das kann man nicht erklären. (Anmerkung: Toto löste sich kurz nach dem Interview auf.)

Pete bezeichnete dich als einen Drummer, der über das Zuhören zu seinem Spiel findet. Keith Moon war in dieser Hinsicht genauso – allerdings trommelte er vollkommen anders. Was gefällt dir an Keiths Stil? Hast du ihn je getroffen, und bezog sich Pete gelegentlich auf Keiths Spielweise?
Simon: Keith habe ich nie kennen gelernt, aber nachdem ich mit Pete, Roger und John auf Tournee war, habe ich das Gefühl, als würde ich ihn ein wenig kennen. Er war ein sehr flüssiger Schlagzeuger, er bewegte sich viel und spielte innerhalb der Musik. Sein Spiel war nicht festgelegt oder grundiert – komplett andere Spielweise. In gewisser Hinsicht war er das Rockgegenstück zu Tony Williams. Pete erwähnte mir gegenüber niemals Keiths Spiel. Er war zufrieden mit mir und ließ mich die Musik immer dorthin führen, wohin ich wollte. Nur Roger sagte nie irgendwas. Er war nicht so angetan von meiner eher jazzigen Auslegung. Ich glaube, insgeheim gefiel Pete gerade das so (lacht).

Ich habe gelesen, dass du dich 1974 von Billy Cobham und Cozy Powell zum Spiel mit zwei Bassdrums hast inspirieren lassen – nicht von Keith oder Ginger Baker, die ich immer für die Pioniere der beidfüssigen Trommelarbeit in der Rockmusik gehalten habe. Kannst du darüber mehr erzählen?
Simon: Eigentlich war Louis Belson der erste, der mich inspirierte – oder auch Carmine Appice. Ich fand immer, dass keiner sie bis jetzt übertroffen hat. Aber erst als ich Tommy Aldridge von Black Oak Arkensas sah, hörte ich, was ich hören wollte.

Ich würde gern ein wenig über die Mitglieder der aktuellen Who-Touring-Band und die „Schattenleute“ der Who erfahren, mit denen du ja auch schon zusammen gearbeitet hast. Kannst du uns etwas über Rabbit, deinen Vorgänger Kenney Jones, deinen Nachfolger Zak Starkey und Petes Bruder Simon erzählen – wie schätzt du sie als Musiker und als Menschen ein?
Simon: Rabbit kenne ich seit den siebziger Jahren – ein toller Musiker und einer dieser originalen Rocksessiontypen. Kenneys Spielweise hat mir sehr gefallen, als ich ihn mit The Who 1979 sah. Er spielte ganz anders, das war alles, und mit dem Phantom eines Keith Moon zu leben, ist alles andere als einfach. Ich musste das sowohl mit The Who als auch mit Toto erfahren. Du musst dich dann ganz auf dein eigenes Ding konzentrieren und dich nicht darum kümmern, was andere Leute denken oder sagen. Ich denke, Zak brauchte eine Weile, bis er seinen Platz in der Band gefunden hatte. Auch sein Spiel brauchte eine Weile, bis es seins wurde und bis er genug Selbstvertrauen hatte. Auf jeden Fall fand ich, dass er großartig spielte, als ich ihn vor ein paar Jahren, als John schon tot war, mit The Who in Los Angeles sah. Er machte diesen Gig wirklich zu seinem eigenen. Mit Pino habe ich auf ein paar Platten zusammen gespielt – leider nicht so viele, wie ich gern gemacht hätte. Er ist ein klasse Bassist und ein wundervoller Musiker. Von Simon Townshend, Petes Bruder, war ich in den frühen Achtziger, als er seine Band zusammenstellte, ein richtig großer Fan. Ich hielt es immer für eine Schande, dass er nie die Anerkennung erhielt, die er verdiente. Er ist außerordentlich talentiert. Ich vermute, es ist schwierig, so einen berühmten Bruder zu haben – aber jetzt ist er in der Band, und ich hoffe, es macht ihm Spaß.

1985 hast du mit Pete an White City gearbeitet, abermals ein großartiges Soloalbum. Ich muss gestehen, als ich „Face The Face“ das erste Mal hörte, dachte ich, Pete habe einen unglaublich guten Drumcomputer eingesetzt – hast du irgendwelche Computer benutzt, und war es schwierig, diesen Song live zu spielen?
Simon: Ha, das ist gut! Es ist ein harter Song, und es war in der Tat ziemlich heftig, wie ein Drumcomputer zu spielen, daran musste man arbeiten. Aber es machte auch Spaß.

Nach der Tour 1985/86 mit Pete …
Simon: Das war keine echte Tournee, sondern wir spielten nur ein paar Shows. Ich wünschte, wir hätten damals auf Tournee gehen können. Ich bin Pete deswegen immer hinterher gelaufen, und er war immer hinter mir her, dass ich es bezahle!!!

… 1989 warst du dann als Who-Schlagzeuger mit auf der großen 25-Jahre-Jubiläumstournee. Für die vierzig Shows habt ihr angeblich siebzig Songs einstudiert, wovon durchschnittlich fünfunddreißig pro Konzert gespielt wurden. Kannst du dich an die Proben erinnern?
Simon: O ja, ich erinnere mich, danke! Tatsächlich probten wir insgesamt hundertzwanzig Songs – es war lächerlich. Kein Kommentar. Roger und John kannte ich vor den Proben noch nicht. Aber es war toll, als die ganze Band endlich zusammen spielte.

Erinnerst du sich auch an deinen ersten Who-Gig? Es war der 21. Juni 1989 …
Simon: Als ob es gestern gewesen wäre. Das Konzert dauerte viereinhalb Stunden!!!

Ihr habt vor Millionen jubelnden Leuten gespielt. Allein ins Giants Stadium von New Jersey kamen fast eine viertel Million Fans an vier Tagen – wie war das Gefühl, vor so vielen Menschen aufzutreten? Fühlte man sich wie der größte aller Superstars, oder krachte man danach hinter der Bühne zusammen? Wie kommt man nach so einer Erfahrung wieder auf den Boden?
Simon: Ich ging was essen und genoss ganz einfach die Gegenwart der Leute, mit denen ich zusammen war. Mit John verband mich am meisten. Ich feierte damals auch noch recht gern, und Pete und Roger waren übers Partymachen schon hinaus. Mit Pete war ich ziemlich oft essen. Wenn man sich erst einmal an alles gewöhnt hat, läuft es wie von selbst. Du spielt Musik, arbeitest hart, hast Spaß dabei, und dann versuchst du ein bisschen zu schlafen (lacht).

Pete sagte über diese Tournee, dass da bloß ein Dutzend Musiker auf der Bühne gewesen seien, die Who-Songs spielten. Hast du dich als richtiges Mitglied einer Band namens The Who gefühlt oder eher wie ein bezahlter Musiker auf Petes, Johns, Rogers Lohnabrechnung?
Simon: Nein – ich fühlte mich, als ob ich Teil von The Who sei! Mit so vielen Leuten auf der Bühne war das freilich manchmal schwierig. Aber bei den Gelegenheiten, als wir nur zu viert auf der Bühne standen, fühlte es sich wirklich wie The Who für mich an.

Insgesamt wurden bei dieser Tournee etwa vierunddreißig Millionen Dollar eingenommen. Darf ich fragen, wie du und deine Mitmusiker bezahlt wurden?
Simon: Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass ich gut bezahlt wurde.

Deine Zusammenarbeit mit The Who ging nach der Tour weiter, aber nachdem du 1992 Mitglied bei Toto geworden warst, konntest du nur noch zeitweise für Roger, Pete und John trommeln. Interessanterweise hast du ja auch mit allen drei Whos solo gearbeitet …
Simon: Das war wirklich eine schwierige Wahl, sich entscheiden zu müssen zwischen der Quadrophenia-Tournee mit The Who 1996 oder bei Toto zu bleiben. Ich vermisste es, nicht mehr mit The Who zu spielen, aber bei Toto war ich festes Mitglied, kein Begleitmusiker. Das ist ein großer Unterschied. Außerdem begann ich mit einer Solokarriere. Das hätte ich wahrscheinlich nicht getan, wenn ich mit The Who weiter gemacht hätte.

Ich habe gelesen, dass du in der Dixieland-Band deines Vaters Sid das Schlagzeugspielen gelernt hast. Wie ging es mit deinem Vater in den siebziger Jahren weiter – und wusstest du, dass auch Petes Vater ein respektierter Jazzmusiker am Saxofon gewesen war?
Simon: Mein Vater starb 1973. Er spielte Klarinette und führte eine Dixie-Tanzband an, in der ich von 1969 bis 1973 Schlagzeug spielte. Übrigens kenne ich Cliff Townshend – mein Vater und er kannten sich recht gut.


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